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Laut der "Task Force Menschenhandel" gab es wegen grenzüberschreitendem Prostitutionshandel 61 Verurteilungen.

Foto: APA-HOPI-MEDIA/LUKAS WAGNER

Wien - Eine zehnjährige Bulgarin wird an Zieheltern verkauft. Diese vermieten das Mädchen sechs Jahre lang für sexuelle Zwecke an türkische Männer, oft sind es mehrere Kunden pro Tag. Gefügig gemacht wird das Kind durch Folter, mit Zigaretten werden versteckte Körperteile verbrannt. Wichtige Attribute der "Ware" wie Gesicht oder Dekollete bleiben unversehrt. Was sich wie eine haarsträubende Filmgeschichte anhört, ist bittere Realität - auch in Österreich - und beschreibt den schlimmsten Fall von Menschenhandel mit dem Gerald Tatzgern, Leiter des Büros für Menschenhandel- und Schleppereibekämpfung im Bundeskriminalamt (BK), in den vergangenen Jahren zu tun hatte. Am Sonntag soll der europäische Tag gegen Menschenhandel eine Sensibilisierung für den schwer durchleuchtbaren Kriminalitätszweig bewirken.

Opfer werden zu Schuldigen gemacht

"Die Täter arbeiten genau mit der Rechtslage", so Tatzgern. Schon bei der Anwerbung werde geschickt vorgegangen: Damit Menschenhandel vorliegt, muss Ausbeutung ersichtlich sein. Wenn das Opfer selbst einen Vorteil aus einem Verhalten ziehe und auch nur eine geringe Summe selbst behalten dürfe, sei der Nachweis schwierig. Auf diese Gratwanderung werde auch beim Betteln geachtet. Schwierig sei auch, dass sich Betroffene häufig selbst nicht als Opfer wahrnehmen. Meist komme es zu Beginn nicht zum Zwang, betonte Tatzgern. Die Menschenhändler locken Kinder und Erwachsene vielmehr in eine Art Teufelskreis und machen sie selbst zu Schuldigen bis sie erpressbar sind. Diese Methode funktioniert laut dem BK-Mitarbeiter auch bei Prostitution: Frauen in ausweglosen Situationen werden zunächst als Putzpersonal beschäftigt, dann vorsichtig gebeten eine Barkeeperin zu vertreten und mit Geld geködert. Danach folgt ein harmloser Einsatz als Animationsdame und schlussendlich ein Treffen mit einem "netten Mann". Der Vorwurf, der den Opfer in weiterer Folge bleibt: "Du hast ja freiwillig mitgemacht."

Opfern wird ein "Job" versprochen

Ähnliche wie bei der Prostitution wird bei Bettelei gelockt: Den Opfern wird gewissermaßen ein "Job" versprochen, dann werden sie für bestimmte Zeiten auf die Straße gesetzt und müssen Geld "verdienen", erklärte Tatzgern. Bis 2006 setzten die Banden vor allem rumänische und bulgarische Kinder ein. In Kooperation mit der Wiener Organisation "Drehscheibe" wurden diese langfristig betreut und in Krisenzentren in die Heimat zurückgebracht. "Dadurch, dass die Kinder von der Straße weggenommen und für die Täter unerreichbar wurden, ist Österreich unfruchtbarer Boden für die Kinderhändler", betonte Tatzgern. So sieht es auch "Drehscheibe"-Leiter Norbert Ceipek: "Menschenhändler sind sehr wohl darauf bedacht, die Kinder möglichst lange auf der Straße zu haben. Man muss ihnen diese einfache Art des Geldverdienens vermasseln. Wenn man dieses Tor ein bisschen schließt, haben wir eine Chance."

Eine besorgniserregende Entwicklung: "Es werden mehr Kinder der Prostitution zugeführt", so Ceipek. Heuer habe man diesbezüglich bereits sechs unter 14-jährige Opfer versorgt - Mädchen aus Rumänien, Bulgarien, Moldawien oder der Ukraine. "Die Eltern befinden sich meist bei irgendjemandem in Schuldhaft und die Kinder sind die Leidtragenden", erklärt er.

Sechs Veruteilungen

Veruteilt wurden im vergangenen Jahr wegen Menschenhandels (§104a) sechs Personen, 61 laut der heimischen "Task Force Menschenhandel" wegen grenzüberschreitendem Prostitutionshandel (§217). Nur ein Bruchteil der Verbrecher, die Kinder und Erwachsene zu Sexarbeit, Diebstahl oder Bettelei zwingen und ausbeuten, wird erwischt. Dabei zählen die rechtlichen Grundlagen Österreichs zu den vorbildlichsten Europas und gehen sogar über die EU-Rahmenbedingungen hinaus, erklärte Stephanie Öner vom Wiener Universitäts-Institut für Strafrecht und Kriminologie. Verbesserungspotenzial gäbe es allerdings nach wie vor bei den Ermittlungsabläufen und dem kriminalistischen Umgang mit Opfern. Opfer werden häufig gar nicht als solche erkannt, sinnvoll wäre daher eine Art Checkliste mit möglichen Indizien für die handelnden Beamten und Beamtinnen. "Es ist wichtig Mechanismen zu entwickeln, was in einer konkreten Situation zu tun ist", so die Strafrechtlerin. 

Kernfaktor: Ausbeutung der Arbeitskraft

Wichtigster Faktor dabei: Die Opfer müssen hierbleiben und aussagen können und dürfen nicht sofort abgeschoben werden. "Im Strafrechtsbereich ist es von den Regelungen her recht gut gelungen", so die Wissenschafterin weiter. "Das Problem ist, dass man damit nicht sehr weit kommt: Wenn die Opfer aus Angst nicht reden, gibt es wenige Verurteilungen." Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz im Jahr 2004 wurden die Menschenhandels-Paragrafen an die EU-Vorgaben angepasst. Öner: "Die österreichische Regelung geht sogar weiter und inkludiert beispielsweise die Ausbeutung zum Zwecke der Organentnahme." Der Höchststrafrahmen für schwere Fälle mit Gewalttaten oder Kindern als Opfer reicht außerdem bis zu zehn Jahre, die EU sieht eine Mindesthöchststrafe von acht Jahren vor. Für das Grunddelikt gibt es drei Jahre Haft. "Mit 1. Jänner 2006 wurde zusätzlich die Strafbarkeit von Verbänden, zum Beispiel einer GmbH, eingeführt", erklärte Öner. "Somit können auch Konstrukte, die hinter Menschenhandel stecken, unter bestimmten Voraussetzungen zur Verantwortung gezogen werden." Vor 2004 erfasste das Gesetz nur Menschenhandel im Zuge einer Grenzüberführung, Delikt mit reinem Inlandsbezug - auch Fälle von Zwangsprostitution - fielen nicht darunter. Jetzt ist der Kernfaktor jegliche Ausbeutung der Arbeitskraft.

Auch Anstiftungen zu Kriminalität und Bettelei können laut Öner unter diesen Ausnutzungs-Begriff fallen, wenn die Tätigkeiten so organisiert werden wie ein "Job". Schwierig ist laut Öner aber das Definieren des Begriffs "Ausbeutung mit unlauteren Mitteln" zur Abgrenzung des Delikts vor allem von der Schlepperei: "Ausbeutung meint hier nicht nur die tatsächliche Ausnutzung. Es reicht bereits der Vorsatz." Klassisches Beispiel für das Vorliegen unlauterer Mittel ist die Vorspiegelung falscher Tatsachen: Eine Frau willigt zwar in Sexarbeit ein, aber unter anderen, besseren Bedingungen. Auch wenn zwischen Menschenhändlern und Opfern eine Autoritätsbeziehung besteht, die ausgenützt wird, ist der Tatbestand erfüllt. (APA, red)