Nicht zimperlich: Alfred Kubins "Madame (Moderne Beleuchtungszier)".

 

Foto: Leopold Museum

Wien - "Ach, wenn mir's nur gruselte!", seufzt der junge Mann in dem von den Brüdern Grimm aufgeschriebenen Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen geradezu verzweifelt: Weder Kettengerassel im bitterkalten Spukschloss noch das Kegelschieben mit Totenköpfen lehrt den Abgebrühten das Unheimliche. Erst als seine Frau nächtens einen Bottich Eiswasser über dem Schlafenden ausleert, schreit er glücklich heraus, wie sehr es ihm nun grusele.

Und in der Tat, das Unheimliche ist eine sehr subjektive Angelegenheit - eine Atmosphäre, die sich entzieht, sobald man nach ihr greift. Das Unheimliche sei "performativ". Kein Ding sei per se unheimlich, sondern entpuppe sich erst im Auge des Betrachters als solches, ergänzt Julia Bernard die Versuche Sigmund Freuds, sich dem Begriff ethymologisch zu nähern. Das "Un-heimliche" als das zu begreifen, was aus dem Dunklen ins Vertraute einbricht und das "Heim-elige" plötzlich kippen lässt.

Frierende Skelette

Welch' schaurig schöne, Schaudern oder Frösteln machende Momente die Ausstellung Edvard Munch und das Unheimliche für den Betrachter bereit hält und in welchen der über 200 Kunstwerken ganz besonders gut, das lässt sich nach dieser Einleitung freilich schwer sagen. Denn womöglich lässt das aus der Gischt in das Schwarz der Nacht entschwindende Meeresgespenst von Karl Wilhelm Diefenbach nicht bei jedem die Ganslhaut aufziehen. Und eventuell ernten James Ensors herrlichen Skelette, die sich wärmen wollen bisweilen nur gelangweiltes Schulterzucken. Oder Otto Modersohns Mondaufgang im Moor: Spürt da noch wer das Morbide, das schwer über der dunklen Wasseroberfläche hängt?

Was man allerdings sagen kann, ist, dass das Leopold Museum gut daran tat, die 37 exquisiten Munch-Bilder aus Oslo, die es im Austausch für eine großzügige Leihgabe von Schiele-Bildern im Jahr 2007 erhielt, nicht solo zu zeigen. Denn das Vertraute in den längst zu Ikonen gewordenen Bildern des Norwegers verscheucht auch ein wenig von ihrem unheimlichen Charakter. Vielmehr gab der Wien-Ausflug der Munch-Bilder Anlass zur "ersten Ausstellung zum Unheimlichen überhaupt", einer Schau mit Zeitgenossen Munchs, aber auch Vorgängern wie Francisco de Goya, Johann Heinrich Füssli oder Giovanni Battista Piranesi.

In den acht Kapiteln, die sich etwa den Symbolen des Unbewussten, den Albträumen oder Tod und Teufel widmen, bestreitet Munch freilich den Auftakt. Angst, Begierde, Tod sind sowohl in malerischen als auch grafischen Arbeiten zu sehen, aber im direkten Vergleich erweisen sich die Lithografien und Holzschnitte um ein vielfaches eindringlicher. Besonders gefangen nimmt ein sehr stilles Bild: Mondschein, Nacht in St. Cloud (1895), eine Kaltnadelradierung, die das staubige, diffuse Licht einer leeren Wohnung einfängt. Die im Grau verschwindende Silhouette am Fenster ist Teil einer unheimlichen Einsamkeit.

Nach der famosen Traumabteilung mit vielen Blättern Goyas und Alfred Kubins folgt ein Durchhänger: Mit dem wiederentdeckten Albert von Keller kann in der Kammer des Okkulten nicht überzeugend gepunktet werden. Wach macht jedoch Aroldo Bonzagnis mahnender Weihnachtsbaum mit toten Türken statt Baumbehang. Wohingegen die wiedervereinten Hälften von Angelo Morbellis totem Liebespaar wenig spektakulär erscheinen. Das Unheimliche lauert anderswo. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.10.2009)