In der europäischen Politik gibt es eine eiserne Regel: Das Gewicht von Staaten ist nur dann groß, wenn eine Regierung im Inland stark ist, wenn sie weiß, was sie will, und nach außen hin geschlossen auftritt. Wenn sie ihre Interessen also mit Nachdruck und glaubwürdig vertreten kann.

Das gilt umso mehr, je kleiner Länder sind. Große Staaten tun sich da leichter, weil sie per se nicht so einfach unter Druck zu setzen sind.

EU-Mitgliedsstaaten, die die genannten Voraussetzungen nicht mitbringen, kommen allzu leicht unter die Räder. Jede Schwäche, jeder Fehler wird von anderen strategisch sofort ausgenutzt.

Genau das wird in allernächster Zeit mit Österreich bei der Verteilung der Zuständigkeiten des neuen österreichischen EU-Kommissars passieren, wenn Bundeskanzler Werner Faymann und sein Vize Josef Pröll sich nicht doch noch im letzten Moment zusammenreißen und rasch eine Entscheidung treffen, wen sie für Brüssel nominieren wollen. Ansonsten droht das Land in der Union zur Lachnummer zu werden (was ja keine Überraschung wäre angesichts der Lustlosigkeit, die seit Jahren in der Europapolitik an den Tag gelegt wurde).

Diesbezüglich präsentiert sich die Regierung in der allerschlechtesten Verfassung seit dem EU-Beitritt 1995: Sie ist in grundsätzlichen Fragen uneinig, weiß nicht, was sie will, tritt nicht geschlossen nach außen auf, kann Forderungen daher auch nicht mit Nachdruck Ausdruck verleihen. Viel leidenschaftlicher widmet man sich koalitionärer Haxlstellerei.

Die Hauptverantwortung dafür trägt - das muss man leider sagen - der Bundeskanzler selbst. Er kann sich ganz offensichtlich nicht entscheiden, ob er sich und seine SPÖ auf einen kritischen, aber überzeugten proeuropäischen Kurs bringen soll; oder ob er sich in Europafragen mehr und mehr im seichten Wasser von den Boulevardmedien Richtung EU-Bashing treiben lässt. Es ist ja nicht nur die Kronen Zeitung mit ihrem aberwitzigen EU-feindlichen Gekreische, der sich Werner Faymann ganz ungeniert andient.

Nichts gegen lustige bunte Blätter. Aber kann es wirklich sein, dass ein Kanzler der Republik sich in einer so wichtigen politischen Frage wie der europäischen Ausrichtung Österreichs ständig versteckt? Der jüngste (fast schon peinliche) Beweis dafür wurde bei der Eröffnung des neuen Europa-Hauses in Wien geliefert. Die EU-Spitzen waren da, alles, was in Österreich etwas zu sagen hat, war da - nur der Kanzler nicht.

Das ist kein unmäßiges Kanzler-Bashing. Die Kritik an dieser EU-Verweigerungs-Versteckenspielpolitik kommt inzwischen vom Kern der Sozialdemokratie. Es gibt in fast einem Jahr Kanzlerschaft Faymann nicht eine einzige wichtige Grundsatzrede zur Union, aus der sich schlüssig ableiten ließe, was er in Europa wirklich erreichen will - nur Überschriften.

Aber die ÖVP soll nicht glauben, dass dieser missliche Zustand für sie günstig sein könnte. Die Uneinigkeit, die wechselseitigen Sticheleien haben in dieser Koalition Methode, auch wenn ständig das Gegenteil behauptet wird. Es stimmt ganz einfach nicht. Wozu das führen kann, sieht man jetzt ganz konkret. Der Präsident der EU-Kommission hat Österreich angeboten, einen der wichtigsten Posten der Union mit einem Kandidaten zu besetzen, den Agrarkommissar. Darum würden sich andere EU-Partner reißen.

Aber was passiert in Wien? Der Kanzler sagt Nein, weil er der ÖVP eins auswischen will (und mit dem Wohlwollen der Krone rechnen kann), setzt daher auf Benita Ferrero-Waldner, wissend, dass sein Vize Josef Pröll sich für Wilhelm Molterer entschieden hat. Barroso darf sich freuen, denn er hat gelernt: Die Österreicher sind Jausengegner. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2009)