Zeiten wie diese machen das Herz krampfen. Da hilft keine noch so abgebrühte Professionalität, wenn man sie denn hätte. Und doch glimmt selbst in der dunkelsten Tristesse immer wieder ein Funke, der über das Schlimmste hinweg zu helfen scheint.

Diesmal spendet ihn der österreichische Kanzler und seine Außenministerin. Auf die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit des laufenden Krieges im Irak heißt es lapidar: "Es steht uns nicht zu, das zu bewerten." Als wäre Österreich kein souveränes UN-Mitglied, als wäre die Satzung der UN, ja das allgemeine Völkerrecht nicht Bestandteil unserer Rechtsordnung und Österreich nicht selber zwei mal im UN-Sicherheitsrat (UNSR) gesessen.

Realsatire vom Feinsten? Vielleicht auch, schon eher aber ein deprimierender Beleg dafür, dass im Krieg nicht nur einer alten Weisheit folgend die Wahrheit, sondern offenbar auch die Wahrhaftigkeit an vorderster Stelle zugrundegehen. Dabei könnte die Rechtslage klarer nicht sein: Art 2 Abs.4 der Satzung der Vereinten Nationen (SVN) dekretiert das allgemeine Gewaltverbot. Wohl gemerkt: Gewaltverbot, nicht bloß Kriegsverbot.

Haarspaltereien, ob der Einsatz von Waffengewalt zwischen Staaten im konkreten Fall als Krieg im Sinne des Völkerrechtes qualifiziert werden muss oder kann, sind daher in diesem Zusammenhang hinfällig. Gewaltanwendung ist verboten, nicht bloß jene in Form eines rechtlich geordneten Krieges. Wie in wohl jeder Rechtsordnung, ist auch im Völkerrecht der Erfordernis der Notwehr und damit Selbstverteidigung entsprechend Raum gegeben (Art. 51 SVN). Zwischen diesen beiden Polen ist es den 193 Staaten der Erde verboten, sich zu militärischer Gewalt hinreißen zu lassen.

Andererseits entspricht dem Aufbau und der Funktion von Rechtsordnungen, dass sie als letztes Mittel ihrer Durchsetzung Gewaltstrukturen brauchen. So auch das Völkerrecht.

Nur, und das ist wichtig, über den Einsatz militärischer Gewalt entscheidet ausschließlich der UNSR, keinesfalls beliebige Staaten, auch nicht die USA und Großbritannien. Nur der UNSR hat die Kompetenz, gemäß Kapitel VII der Satzung, den Einsatz militärischer Mittel gegen einen Staat anzuordnen, der den Frieden bedroht, den Frieden bricht oder eine Aggressionshandlung begeht (Art. 39 SVN). In der wie kaum eine andere weltweit bekannt gewordenen Resolution 1441 des UNSR ist eine solche Aufforderung oder auch nur Legitimation zur militärischen Intervention eben nicht enthalten. Zwar bündelt sie alle bisherigen Resolutionen des UNSR, listet alle unbestreitbaren bisherigen Völkerrechtsverletzungen und Versäumnisse des irakischen Regimes auf und verlangt rigoros deren Behebung unter Androhung von "serious consequences". Eine Definition dieser ernsthaften Konsequenzen oder gar einen automatischen Auslöser militärischer Konsequenzen enthält sie aber eben nicht. Im Gegenteil, der UNSR behält sich ausdrücklich alle weiteren Schritte vor.

Jetzt, wo im Irak vernichtet und gestorben wird, tritt all dies in den Hintergrund. Und doch plagt die immer wieder aufgeworfene Frage, was anders wäre, wenn es eine Aufforderung oder zumindest Legitimation durch den UNSR gäbe. Würde anders vernichtet, anders gestorben werden? Vordergründig natürlich nicht. Aber stellt sich diese Frage nicht bei jeder Anwendung von Gewalt im Auftrag, im Namen legitimierter gesellschaftlicher Institutionen? Ist nicht, um in Harmloseres auszuweichen, bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten Schlagstock gleich Schlagstock, verletzter Polizist gleich verletzter Demonstrant? Natürlich nicht, außer für Arzt und Ärztin, wenn benötigt.
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Gewalt und Widerstand

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Es hilft nichts, die Bewertung von Gewalt hängt vom rechtlichen, damit nicht notwendigerweise auch moralischem Überbau ab. Gewalt ist jedenfalls einstweilen aus unserer Welt zwar wegzudenken, aber nicht wegzubringen. Alles was wir tun können, ist die Monopolisierung der Gewaltanwendung bei gesellschaftlichen Zentralinstanzen, auf der Ebene des Völkerrechtes beim UNSR.

Um es abzukürzen: der völkerrechtliche Unterschied zwischen legitimierter (nicht zu verwechseln mit legitimer) und nicht legitimierter militärischer Intervention liegt darin, dass der angegriffene Staat im Falle einer Zwangsmaßnahme des UNSR kein Recht auf Widerstand hat, dass seine Abwehrmaßnahmen rechtswidrig sind. Alle haben die Maßnahmen des UNSR zu unterstützen. Durchaus ähnlich zum Verhältnis zwischen illegalen Demonstranten und Polizei im obigen Beispiel.

Zurecht wurde auf solche Einsätze militärischer Gewalt durch den UNSR der Ausdruck Polizeiaktion angewandt, um eine Abgrenzung zum Begriff Krieg zu erzielen. Konsequenterweise werden für Österreich in einem solchem Fall die Neutralitätspflichten ausgesetzt.

Ein militärischer Angriff ohne Legitimation des UNSR hingegen versetzt den angegriffenen Staat in die Opferrolle. Selbst dem blutrünstigen Regime von Saddam Hussein erwachsen so alle Rechte auf Selbstverteidigung. Sogar die Unterstützung durch andere Staaten ist zulässig, was de facto nur an der Isolation des Irak selbst in der arabischen Welt scheitert.

Da Österreich verpflichtet ist, sich in jedem Krieg unabhängig von moralischen Kategorien neutral zu verhalten, hat unsere Bundesregierung für Österreich mit dem Beginn der Kampfhandlungen korrekterweise den Neutralitätsfall ausgelöst.

Lassen wir uns nicht von den offenkundigen Mängeln den Blick auf die nicht minder offenkundigen Fortschritte der globalen Sicherheitspolitik des letzten halben Jahrhunderts verstellen. Treiben wir die Dinge entschlossen voran, um die Frage der Legalität militärischer Gewalt so schnell nicht wieder aufkommen zu lassen! Vergessen wir nicht, am Ende jeden Krieges steht der Verhandlungstisch. Warum also nicht gleich? Der Frieden ist der Ernstfall. []

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Völkerrecht und internationale Beziehungen an der Universität Linz.