Denken heißt scheitern, dachte ich. So lautet ein paradoxer Kernsatz in Thomas Bernhards Auslöschung. Ein Zerfall. Ich will nichts schreiben, schrieb ich. So die Grundhaltung der Titelfigur in Heinz D. Heisls neuem Roman Greiner. Bernhard setzt in Holzfällen seinen Beobachter und Verachter in einen Ohrensessel des Wiener Salons. Bei Heisl sitzt Greiner, ein bekannter Schriftsteller aus Innsbruck, der alle Kollegen, Verleger und jegliche Schriftstellerei samt der eigenen auf das Heftigste verurteilt, zu seiner großen Tirade in der Fremde: auf einem Barhocker im Excelsior Café im Roppongi-Viertel von Tokio.

Er beobachtet das Treiben drinnen, durch die Scheibe das Leben draußen, im Rückspiegel kanzelt er seine Lebensszenen ab, den Literaturbetrieb und die Gesellschaft drüben in Österreich, seine unerfreulichen Beziehungen zu Eltern und zu Frauen, seine Karriere als Musiker und dann als Dichter - und beschreibt. Obwohl er wiederholt betont: "Nichts hätte ich schreiben sollen. Niemals eine Zeile. Nie hätte ich mich einlassen dürfen auf diesen Betrieb." In die Fremde hinausblickend, schaut er in sich hinein, auf angenommen Eigenes zurück, das ihm fremd geworden.

Heisl nimmt Ton und Erzählhaltung von Bernhard auf, das Bohrende einer Verachtungsspirale eines Übertreibungskünstlers, den Rhythmus des Repetitiven und der Wortschlangen (die "Sprachniederbringungsgemeinschaft" , eine "gesichtswäscheverliebte Wortmaschinistenmannschaft" ), das Stakkato der Einschübe - "dachte ich auf dem Hocker" - und die Signalwörter wie "naturgemäß" , "durch und durch lächerlich" .

Gewiss hat der Roman Längen. Allerdings sind diese im Konzept angelegt: Während des Aufenthalts im Café - die gegen Ende immer häufigeren Zeitangaben lassen auf einen halben Tag schließen - breitet Greiner sein bisheriges Leben und Schreiben aus. Auf die Dauer aber ermüden die Redundanzen schon. Einiges erscheint doch entbehrlich oder zu stark aufgetragen, ein paar Mal fallen Schwerfälligkeiten auf (Kaffee: "trinkenderweise jedoch bekommt er mir"; auf dem Hocker: "in der Verkümmerung meiner um sich tropfenden Mundfertigkeit vegetierend" ). Das hartnäckige Bohren am Zerfall des Lebens-Selbstverständnisses vermag jedoch durchgehend zu faszinieren.

Schimpfkanonade

Mit dem Kontrastmittel der anderen Kultur gibt Heisl zudem die nötige Tiefenschärfe. Literaturbetriebsromane beschreiben gewöhnlich ein enges Feld, auf dem die Akteure dauernd um Positionen kämpfen, und fördern unweigerlich eine Rezeption, die nach den realen Personen hinter den Figuren sucht. Das Enge konfrontiert Heinz D. Heisl mit dem fernen Japan, aber - anders als etwa Gerhard Roth oder Josef Winkler (Roppongi) in ihren Japan-Werken - aus der Unsicherheit eines Sprachlerners. In die Worte des Schriftstellers Greiner lässt er die japanischen platzen, die aus dem "Kauderwelsch" -Band Japanisch Wort für Wort stammen: Der Cappuccino schwappt an der Wand des Pappbechers hoch, heißt es, und sodann: "Kirisuto. Hamaguri. Ich hockte im Inneren des Bildes." Schlägt man bei den Anmerkungen hinten im Buch nach, erfährt man (über einen Druckfehler hinwegsehend) die im deutschen Kontext seltsam unpassende wörtliche Übersetzung der Einschübe: "Jesus. Japanische Venusmuschel."

Dieser Barhocker greint in sich hinein. Vor sechs Monaten hat er zu schreiben aufgehört, das unfertige Manuskript stopft er in den Abfallkübel des Excelsior Cafés, die Notizen zu einem Roman liest er noch einmal durch und verwirft sie. Dem Gedachten spricht er strikt eine literarische Verwendbarkeit ab, und doch steht es da: Unmöglichkeit und Möglichkeit zugleich. Greiner (der deutsche Kritiker Ulrich Greiner betitelte 1979 sein viel debattiertes Buch über die seiner Meinung nach unpolitische österreichische Literatur Der Tod des Nachsommers) will, vom Betrieb erzählend, nichts vom Betrieb wissen und sieht eine Genre-Rezeption seines Unterfangens vorher: "Und sollte ich das, was ich soeben denke, aufschreiben, dachte ich weiter, und alles Gedachte und Notierte publizieren lassen, so würde man - nachdem man es gelesen oder sagen wir überflogen hätte - zu sagen wissen, dass man das Ganze bereits kenne, solches hätte ja der ... und, na ja ... jener also, und, genau so ..." Nein, genau so eben nicht. "Wessen Buch ist das?", ironisiert ein japanisches Wort für Wort im Anfangsteil von vornherein Bernhard-Duktus und Heisl-Methode.

Heinz D. Heisl schafft nicht nur eine originelle Variante des bekannten Themas, sondern auch eine genüssliche Schimpfkanonade und ungewöhnliche Einblicke: "Ich schaute wieder hinaus. Unbeschrieben gebliebene Bilder setzten sich fort. Eins stürzte ins andere. Da und dort schleppte eine Figur auf dem Bürgersteig meinen Blick mit sich." Schreiben heißt nicht scheitern, dachte ich bei der Lektüre von Heisls Roman, der hintergründig einen Erzählbogen um so Unterschiedliches wie einen Tempelbesuch in Japan, das deutsche Verlagsunwesen und eine österreichische Existenz schafft. (Klaus Zeyringer, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 24./25./26.09.2009)