Mann, Kind, Wald: Jimmy (Jörgen Svensson) und Sohn in "Man tänker sitt" von Fredrik Wenzel und Henrik Hellström.

Foto: Viennale

Der elfjährige Sebbe lebt mit seiner Mutter in einer kleinen schwedischen Siedlung aus schmucken Einfamilienhäusern. Sebbe führt außerdem ein sorgsam gehütetes Eigenleben. Er streift allein durch die Gegend, begeht kleine Missetaten. Und er ist nicht der einzige männliche Bewohner, den man in Man tänker sitt /Burrowing kennenlernt. Da gibt es noch "Jimmy ohne Schlüssel", der sich allein um sein Baby kümmert und von seinen eigenen Eltern nur noch sporadisch Zutritt zu deren Haus bekommt. Oder den einsamen Jogger Anders.

Während man diesen Figuren bei banalen, existenziellen oder auch ein wenig seltsamen Erlebnissen und Handlungen zusehen kann, entwickelt Man tänker sitt von Henrik Hellström und Fredrik Wenzel eine verstörende Stimmung, die an eine dunkles Märchen oder einen Horrorfilm denken lässt. Aber, so sagen die Filmemacher im Gespräch mit dem Standard, sie hätten sich weniger an Genres orientiert: "Wir wollten mehr ein Bauchgefühl vermitteln. So eine tiefe Verunsicherung, die nicht weggeht, auch wenn eigentlich alles total okay ist, ganz perfekt läuft. (...) Unser Land ist so glatt poliert, so gut organisiert, dass man mitunter meint, man müsse sich schneiden, um überhaupt noch etwas zu fühlen."

Die irritierende Ambivalenz des Films verdankt sich zu einem Gutteil auch seiner präzisen Vertonung - dem Sounddesign und der Originalmusik, die die Bilder ein Stück weit aus jenem quasisozialrealistischen Zusammenhang entrücken, in den sie sich zunächst scheinbar einschreiben. Die Figuren, die verlorenen Helden von Man tänker sitt, werden von Laien dargestellt - Menschen mit großem Talent fürs Kino, aber ohne "Ambitionen, vor der Kamera zu stehen. Sie haben diese großartige Energie eingebracht, die eigentlich völlig still und versteckt ist."
Aber auch dabei ging es nicht um Authentifizierung des Geschehens: "Es geht heute dauernd darum, eine starke Geschichte zu erzählen. Das wollten wir gar nicht, die Charaktere sollten vielmehr Symbole für etwas sein. Es war eine feine Balance, den Film ansehbar zu machen, sodass man sich auf die Figuren einlässt, an ihnen dranbleibt. Und dies gleichzeitig auch abzukühlen, weil wir ja definitiv keinen sentimentalen Film gemacht haben. Man sieht da ja auch ein wenig mit kaltem Blick zu; hoffentlich fühlt man sich danach dann auch ein bisschen gewärmt, aber es geht nicht um individuelle Schicksale."

Wie und ob sich die beiden innerhalb einer schwedischen Filmtradition positionieren? "Nach einer Vorführung kam eine Frau, die meinte, für sie wäre der Film eine Art von Inversion von Roy Anderssons Love Story von 1970. Den hatte sie damals gesehen, als sie selbst so alt war wie die Protagonisten. Tatsächliche Verwandte haben wir, glaube ich, nicht im schwedischen Filmarchiv, und wir sind auch kein Teil einer schwedischen Filmcommunity. Aber es gibt einzelne Filme, die ich sehr mag, die meisten davon sind allerdings recht alt - ich weiß auch nicht, ob sie unserem Film wirklich ähneln, es ist mehr wie ein Echo."

Ein Beispiel? "Ich bin ein großer Fan von Jan Troells frühen Filmen, speziell einem, der im Original Ole dole doff heißt, aus dem Jahr 1968. Der war damals sehr gewagt, es geht um einen liberalen Lehrer, der an seinen eigenen Ansprüchen scheitert. Selbst wenn man ihn heute sieht, wirkt er unglaublich modern." (Isabella Reicher, DER STANDARD/Printausgabe, 27.10.2009)