Im mährischen Brünn fand am Dienstag die mit großer Spannung erwartete öffentliche Anhörung über den EU-Vertrag von Lissabon statt. Die Verhandlung wurde im Verlauf des Nachmittags jedoch um eine Woche vertagt. Die Entscheidung des in Brünn ansässigen tschechischen Verfassungsgerichtshofs gilt als letzte Hürde vor dem Inkrafttreten des Reformvertrags, da von den 27 EU-Mitgliedern lediglich in Tschechien der Ratifizierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist.

Entsprechend nervös begann auch die Verhandlung. Gleich zu Beginn versuchte der Vertreter der Klägerseite zu obstruieren. Er wollte den Präsidenten des Höchstgerichts, Pavel Rychetsky, der gleichzeitig auch Berichterstatter war, für befangen erklären und ihn vom ganzen Verfahren ausschließen. Der Grund dafür war ein Treffen Rychetskys mit dem deutschen Botschafter in Tschechien Johannes Haindl vom September diesen Jahres. Dabei soll es auch um den Lissabon-Vertrag und um die Frage gegangen sein, wie schnell die Verfassungsrichter in der Sache entscheiden können, damit die Ratifizierung des Vertrags, wie bis Jahresende angestrebt, abgeschlossen werden könnte. Das Plenum der Richter lehnte den Ausschluss Rychetskys jedoch ab.

In Tschechien landete der Lissabon-Vertrag bereits zum zweiten Mal vor den Verfassungsrichtern. Vor elf Monaten befanden sie, dass es keine Widersprüche zwischen dem Vertrag und der tschechischen Verfassung gebe. Kritiker der damaligen Entscheidung meinten, die Richter hätten in ihrer Urteilsbegründung nicht den Vertrag als Ganzes begutachtet, sondern nur einige, für die Souveränität Tschechiens als problematisch empfundene Punkte beleuchtet.

Sollten die fünfzehn Richter den Lissabon-Vertrag auch diesmal passieren lassen, würde Tschechiens europaskeptischer Präsident Václav Klaus unter Zugzwang geraten. Um die Ratifizierung in Tschechien abzuschließen, muss der Präsident den Vertrag unterschreiben. Klaus machte dies bislang von zwei Bedingungen abhängig. Erstens: Der Verfassungsgerichtshof erklärt Lissabon im Einklang mit der tschechischen Verfassung. Zweitens: Tschechien erhält eine dauerhafte Ausnahme von der Europäischen Grundrechte-Charta, um somit die bestehenden Eigentumsverhältnisse im Land (Stichwort Benes-Dekrete) zu garantieren. (Robert Schuster aus Prag/DER STANDARD, Printausgabe, 28.10.2009)