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 Bill Frisell, hier bei einem Gig in Porto

Foto: apa/EPA/ESTELA SILVA

Wien - Nicht in jedem Konzert haben die Musiker das erste Wort. Am Anfang der Performance von Bill Frisells 858 Quartet in der Sargfabrik standen Vogelstimmen, eilige Zwitscherer und Fiepser - in die sich, anfangs ganz sachte, frei improvisierte Töne von Trompete, Gitarre, Viola und Cello mischten. Welche ihre Beiträge allmählich zu einem kammermusikalischen Klanggefüge verdichteten, in dem sie dann und wann festen Boden in Gestalt von Themenmelodien ansteuerten - um dann wieder abzutauchen in das Spiel der spontanen Farben und Gesten.

Von der Klippe springen

"Es ist ein Prozess des Suchens und Findens. Man muss bereit sein, von der Klippe zu springen, in das Unbekannte. Allein mit dem Wissen, dass man sich am Ende wieder trifft. Dabei bin ich jede Nacht überrascht, wie oft etwas so klingt, als wäre es vollständig ausgearbeitet, obwohl es im Moment entsteht" , so Bill Frisell über die gemeinsam mit Ron Miles (Trompete), Eyvind Kang (Viola) und Hank Roberts (Cello) gesponnene Musik, die in der Sargfabrik berückende Metamorphosen durchlief, burleske Ragtime-Gefilde ebenso streifte wie orientalische Elegien und den erdigen Mali-Blues eines Ali Farka Touré.

Bildhaftigkeit ist von jeher eine bestimmende Qualität der Musik Bill Frisells, des 58-jährigen Gitarristengroßmeisters aus Baltimore - der sich umgekehrt gern von Bildern inspirieren lässt: Frisells aus dem Jahr 1995 datierende Buster-Keaton-Vertonungen waren zuletzt 2006 in Wien zu hören. 2002 legt er als Opus 1 des 858 Quartet jene grandiose, von hitzigen Ausbrüchen geprägte Musik vor, die die Ölmalereien Gerhard Richters in ihm ausgelöst hatten.

Auch im Zuge des aktuellen Projekts kommt der Anstoß aus anderen Sphären. Nimmt doch das soeben auf CD erschienene Programm Disfarmer (Nonesuch/Warner) die Bilder des vergessenen amerikanischen Kleinstadt-Fotografen Mike Disfarmer (1884- 1959) als Ausgangspunkt. Dieser pflegte zeit seines Lebens die Menschen in Heber Springs, Arkansas, auf ungeschönte, realistische und doch intime Weise zu porträtieren.

Ein merkwürdiger Typ

"Ich wusste nichts über Disfarmer, aber als ich diese Fotos sah, war ich fasziniert. Ich fuhr selbst nach Heber Springs, ich sprach mit den Leuten dort, dachte über sein Leben nach. Ich wollte ein umfassendes Bild dieses Mannes und seines so seltsamen und interessanten Lebens haben. Disfarmer wurde zu Lebzeiten nicht als Künstler anerkannt, die Leute sahen ihn als merkwürdigen, unfreundlichen Typen" , so Frisell. Was für ihn Disfarmer, der seine Fotos für wenige Cents verkaufte, mit Gerhard Richter verbindet, dessen Bilder am Kunstmarkt Höchstpreise erzielen? Bill Frisell: "Mich inspirieren Menschen, die einfach tun, woran sie glauben. Egal, ob sie dafür Anerkennung finden, egal, ob und wie viel ihnen bezahlt wird. Das gilt für Gerhard Richter ebenso wie für Mike Disfarmer." (Andreas Felber / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.10.2009)