Ein Joint, der zu Geständnissen veranlasst: Jean-Pierre Bacri und Agnès Jaoui.

Foto: Filmladen

Dominik Kamalzadeh traf das Paar zum Gespräch.

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Das französische Meisterduo der hintergründigen Komödie, Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri, entwirft in seinem neuen Film Erzähl mir was vom Regen (Parlez-moi de la pluie) ein weiteres ihrer turbulenten Gesellschaftsstücke, in denen Rollenmuster durcheinandergeraten: Agathe (Jaoui), feministische Bestsellerautorin, kommt auf Wahlkampftour in die Provence, der gescheiterte Dokumentarist Michel (Bacri) und sein Kumpel Karim (Jamel Debbouze) möchten über sie einen Dokumentarfilm drehen. Schon die erste Szene setzen sie in den Sand ...


Standard: Frau Jaoui, Sie spielen eine feministische Politikerin - hatten Sie ein konkretes Vorbild? Oder wollten Sie ein bestimmtes politisches Unbehagen ausdrücken?

Jaoui: Nein, nein, in diese Details wollen wir jetzt nicht gehen... Wir haben ein paar verdächtige Zeichen gesetzt, aber es handelt sich nicht um Sarkozys UMP!

Standard: Anders gefragt: Ist Agathe eine ganz andere Frau, als Sie selbst als Politikerin wären?Jaoui: Nein. Nicht wirklich.

Bacri: Agnès ist genauso wie Agathe. Es ist zumindest vieles von ihrer Persönlichkeit dabei.

Jaoui: Nun, eigentlich sind alle Persönlichkeiten, die ich darstelle, irgendwie auch ich.

Standard: Als Feministin will Agathe etwas riskieren. Und doch zweifelt sie ihren Mut als Politikerin an.Jaoui: Politiker zu sein, ist eine undankbare Aufgabe. Es ist schwer, etwas zu verändern.

Bacri: Wie die meisten Politiker gehört Agathe einer Clique an, die ihrem Denken eine bestimmte, exklusive Perspektive gibt. Sie sieht nicht, wie die anderen um sie herum leiden.

Standard: In Ihren Filmen verdichten Sie gesellschaftliche Konflikte im Alltäglichen. Sind deshalb die Themen Politik und Familie der Kern von "Erzähl mir was vom Regen" ?

Jaoui: Beides gehört zusammen. In beiden Sphären gibt es die Opferrollen, in die Leute hineingeraten oder in die sie sich begeben. Auch in Familien gibt es Diskriminierung, Hierarchien und Privilegien.

Bacri: Und Menschen, die favorisiert werden.

Jaoui: Unsere Filme sind nicht militant, nur unser Denken. Das Genre der Komödie ist ideal geeignet, das zu verbergen und zugleich die Gesellschaft zu kritisieren.

Standard: Ihre Filme sind auf unverwechselbare Weise ernst und komisch zugleich. Wie mischt man dieses Verhältnis von Komik und Düsterkeit ab?

Bacri: Ich bin immer überrascht, dass so viele Menschen über unsere Filme lachen. Doch ich bin überzeugt, dass auch etwas Bitteres zurückbleibt. Unser Humor ist ein bisschen schwärzer als der Humor anderer. Unsere Komik beruht auf alltäglichen Situationen und Dialogen. Ein Spannungsfeld, das auch ein Nährboden für Melancholie ist.

Jaoui: Ich bin auch grundsätzlich melancholisch.

Bacri: Das sagst du immer. Du bist nicht melancholischer als andere. Ich finde, jeder hat etwas Melancholisches an sich und trägt es unterschiedlich dick auf. Es gibt auch viele Menschen, die lächeln den ganzen Tag, sind aber alles andere als glücklich - und bringen sich dann plötzlich um. Es gibt diesen grundsätzlichen Zorn, dass man einfach auf die Erde geworfen wurde. Jeder hat mit dieser Absurdität des Lebens zu tun.

Standard: Der Film erweckt auch den Anschein, dass das Unglück mit Partnerschaften zu tun hat. Mangelt es an Freiräumen?

Jaoui: In einer Ehe gibt es oft keinen Platz für die anderen, sondern nur noch für die Identität als Paar. Das ist eine Norm, die problematisch ist. Sich ein ganzes Leben zu lieben, die Hoffnung, dass jeder seinen Platz in einer Partnerschaft findet, das ist nicht einfach umzusetzen. Sicher, die Frauenbewegung hat viel verändert, aber eine Befreiung der Männer steht noch an. Männer dürfen nicht weinen und keinen Schmuck tragen ...

Bacri: Zumindest mein Pullover hat ein wenig Farbe... Nun, ich bin Feminist. Natürlich ist meine Perspektive männlich, aber ich bin ein Fan der Frauenbewegung. Aber es geht noch um etwas anderes: Wir sprechen nicht von Inseläffchen oder Eidechsen, sondern versuchen uns gegen Normen aufzulehnen. Uns fasziniert die Abhängigkeit, die Unmündigkeit, in die sich Menschen freiwillig begeben.

Standard: Abhängigkeit wovon?

Bacri: Der Großteil führt ein Leben ohne Risiko, es genügen oberflächliche Übereinkünfte, Gemeinplätze. Man ist doch nicht ein ganzes Leben lang nur eine Persönlichkeit! Mich fasziniert, dass das so viele Leute verteidigen. Figuren, denen jede ironische Distanz zu übernommenen Werten der Gesellschaft fehlt, sind ein ideales Personal für Komödien.

Standard: Könnte man sagen, dass dies das Modell ist, nach dem Sie Ihre Filme konstruieren?

Bacri: Wir beginnen eigentlich immer bei den Persönlichkeiten. Manchmal schreiben wir die Rollen auch für die Schauspieler. Es ist immer die Figur, der Charakter, der uns anspricht.

Standard: Auf welche Erfahrungen greifen Sie bei den Szenen zurück, die Sie gemeinsam spielen?

Jaoui: Dieses Mal haben wir ja leider gar nicht so viele gemeinsame Szenen...

Bacri: Ich merke immer: Wir schreiben das alles nur, weil wir mitwirken wollen. Wir backen ja nicht ein ganzes Jahr lang Kuchen, um dann nicht mitessen zu dürfen.

Standard: In einer Szene des Films rauchen Sie beide einen Joint, und als Sie dann eine Ameise am Boden sehen, bekommen Sie einen Lachanfall. Wie ist das entstanden?

Bacri: Ich weiß es wirklich nicht mehr... Ganz natürlich? Es war wohl eine Sache des Timings. Der Joint ist ein Moment des Zurücklehnens. Und dann kommt es zu Geständnissen. Nüchtern wären diese nicht möglich.

Jaoui: (lacht)

(DER STANDARD/Printausgabe, 31.10/01.11.2009)