Auch die coolen Menschen aus der ägyptischen Kreativwirtschaft gönnen sich einmal eine traditionelle Wasserpfeife.

Foto: aboutpixel.de/© n-loader

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Wasserpfeifen, Lederhocker, Backgammon mit Perlmutt, damit auch schlechte Spieler ein wenig glänzen können. Jetzt noch schnell ein Blick um die Ecke - und siehe da: Sogar die Pyramiden tauchen auf. Allerdings nur auf einem Pappkarton, der gerade vorbeigerempelt wird. Schließlich ist Kairos großer Basar ja bloß eine Wüste für Shopping-Nomaden, und kein Ort mit übermäßig viel Raum. Also: Weg da! Platz! Auf die Seite!

Das Schreien und die Flüche der Lastenträger - selbstverständlich gehören auch sie zum mittelalterlichen Diskonter des Khan al-Khalili dazu. So wie das Lächeln der Alabaster-Sphingen, denen neben dem Geschiebe gerade die tägliche Streicheleinheit verpasst wird. Geschickt lässt der Händler einen Straußenfeder-Wedel über ihre Rücken huschen. Gewissenhaft putzt er Ramses den langen Pharaonenbart. Denn auch das muss sein. Kairo ist staubig genug. Schon gar am Hussein-Platz, der Drehscheibe der Fiat-Taxi-Herden und der Jahrhunderte.

Der alte Basar, die Plexiglas-Pharaonen, die Busse mit den Touristen - ein Patchwork aus Kitsch, Keilerei und echt steilen Gebäuden schwurbelt hier, an der Pforte zur islamischen Altstadt, ineinander. Denn wie Raketen stehen dort ja auch die Minarette der berühmtesten Kairoer Moscheen herum, der Al-Azhar und der Sayyidna-al-Hussein, alle startklar Richtung Vergangenheit.

Wer die Dachlandschaft der Al-Azhar-Moschee lieber vom Kaffeehausstuhl aus sieht, dem reicht ein Blick auf die Fünfzig-Piaster-Banknote: Denn auch da ist die Flucht der Kuppeln und Minarette abgebildet. Dass darunter die höchste Autorität der Sunniten residiert und gleich nebenan die älteste Universität der Welt - an den neu gedruckten, goldenen Buchrücken der im Inneren säuberlich aufgereihten Stand-by-Koranbände errät man es kaum.

Auch sie sind Teil einer Geschichte, die fast so lange ist wie der Nil selbst. Kairo ist eine alte Seele, aber sie erfindet sich kontinuierlich neu. Ein Häuserblock, das mag einige Schritte weit entfernt sein - aber auch etliche Jahrhunderte. Das verrät auch das Hämmern und Schleifen der schmalen, baumbestandenen Maarouf, einer Gasse im Schatten des Ägyptischen Museums, in der Mechaniker ein knappes Jahrhundert Automobilgeschichte ölen und neu zusammensetzen.

Türkische Dogans und russische Ladas spiegeln sich in schwarzen Pfützen. Aber auch Cadillacs aus den Zwanzigerjahren, als Kairo ein polyglottes Intermezzo erlebte, warten auf ihr Comeback.

Rekonstruierte rostende Eingeweide, das mal zu enge, dann zu lose Spiel ineinander greifender Zahnräder, denen man mit Schmiere zur gewünschten Bewegung verhilft, ferner Rückspiegel, deren zersplitterte Optik längst fragmentierte, verschobene Bilder der Straße zeichnen - all das zählt wenige Schritte neben dem ölverschmierten Universum der Kairoer "mechaniki" auch zum konzeptuellen Rüstzeug der berühmtesten Kunstgalerie des Landes: Gut zehn Jahre nach der Eröffnung hat es die, in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Papierfabrik untergebrachte "Townhouse Gallery" zur intellektuellen Institution geschafft.

Die Herren mit den schwarz umrandeten Brillen, die aktuelle Mode der Videokunst, die Kairos Kunstszene mit leichter internationaler Verspätung heute umtreibt, und die Kritiker zugleich als Zeichen einer eingleisigen Intervention westlicher Kuratoren werten - all das bildet lediglich eine Facette der führenden Kairoer Galerie. Denn irgendwie ist es typisch für Ägyptens Hauptstadt, dass auch die umliegende Nachbarschaft nach Kräften eingebunden wird: bei Musik-Perfomances, deren Lautstärke Stress machen könnte. Und im Rahmen jener Freitags-Workshops, die Kairos arbeitenden Kindern auch die Welt der Kunst erschließen soll: in Form von Theaterspiel, aber auch durch Exkursionen über die harten Ränder der Stadtgrenzen hinaus, wo die 16 Millionen-Stadt ganz abrupt abzureißen scheint, Kairo einfach in Wüste übergeht.

Man sieht: Mühelos schafft es Kairo, sich der eindimensionalen Perspektive der Fünfzig-Piasternote zu entziehen. Denn auch das Viertel der Sackgassen - das eingangs erwähnte Fatimidische Kairo - steht nicht still. Die Verwandlung einer mittelalterlichen Müllhalde zum Al-Azhar Park ist ein jüngeres Beispiel dafür. Jetzt entsteht hier ein Kairo-Stadtmuseum - Teil einer aktuellen, dem Tourismus angedienten Kulturoffensive, die Kairo zuletzt die Überarbeitung des Museums Islamischer Kunst unter Beteiligung von Louvre-Kuratoren beschert hat, und in Kürze den Auszug der Pharaonen aus dem Ägyptischen Museum inszeniert: Neue Ruhestätte der Mumien wird das Nationale Museum Ägyptischer Zivilisation (NMEC) in El-Fustat, dem in der Nähe der Koptischen Stätten, und unmittelbar am Nil gelegenen Ort der ältesten Islamischen Hauptstadt Ägyptens. Parallel dazu werden Tut Ench Amuns Grabschätze bereits 2011 in das Neue Ägyptische Nationalmuseum in Gizeh expediert.

Koptische Christen, pharaonische Schätze, Steine einer alten arabischen Hauptstadt. Dazu die Insel der zeitgenössischen Galerie, das Auferstehungs-Gehämmere der benachbarten Autowerkstätte, beides im Schatten eines verstaubten Museums, in dem wohl auch weiterhin Pharaonen ruhen - fast beliebig ließen sich solche Elemente zu einem stets neuen Kairo-Kaleidoskop formieren. Umm al-Dunya - Mutter der Welt - hieß die Stadt im Mittelalter. Seither machen immer neue Verwerfungen Kairo zu einer Stadt für den zweiten, den x-ten Blick.

Die Clubs an der trendigen Nilinsel Zamalek, wo vor zwei Jahren die obligate Buddha Bar öffnete, ein Besuch der pseudo-maurischen Oase von Heliopolis, mit der ein belgischer Baron eine - zwischenzeitlich längst von Neubauten verschluckte - Satellitenstadt anlegen ließ, oder High Tea in den Kensington-inspirierten Gärten der Nilufer-Enklave Garden City - sie alle beweisen: Allein die westlichen Kairo-Infusionen verliehen der "Mutter der Welt" hinreichendes Inventar, um Kairo zur glamouröse Filmstadt der arabischen Welt zu machen, und schließlich zu einer Diva mit Lebenserfahrung.

Dass neben den Metrogleisen des Viertel Matariyya Beamte des Amts für Altertümer im Schatten eines Feigenbaums ruhen, der während der Flucht nach Ägypten eine biblische Rolle gespielt haben mag, ist Teil dieser Komplexität. Die gespenstische Leere der Retorten-Stadt Dreamland City vor Gizeh, Stichwort: Cairo goes California, ein anderer.

Auch vor hundertfünfzig Jahren wurde ein neues Kairo gebaut. Très chic zunächst, als Kopie des rigide hingestrichelten Paris à la Haussmann, mit radial auseinander strebenden Boulevards, deren elegante Häuser noch jetzt einen Hauch von großbürgerlicher Lebenskultur westlichen Zuschnitts bergen, aber eben auch kleine Gemüseläden und viel glänzende orientalische Haushaltsware im Untergeschoss. Napoleons Stiefelabdruck, der diesen Luxus stets auch suspekt machte, spielt heute keine Innenstadt-Rolle mehr.

Stattdessen lässt Ala al-Aswany, der Kairoer Autor des 2002 erschienen Roman-Bestsellers "Der Jakubijan Bau", in so einem "Grande Maison" Kairo als Mikroskosmos zerbröckeln - korrupte Geschäftsleute, mittellose Dachschläfer und ein kleiner Portierssohn, der in die Fänge radikaler Islamisten gerät, inklusive.

Klar, intakte Perlen wie das zuletzt restaurierte "Café Riche" an der Talaat Harb, legendäre Geburtsstätte der politischen Linken, die sich vor der allgegenwärtigen Geheimpolizei über eine erst kürzlich freigelegte, schwenkbare Geheimtüre in den geheimen Keller flüchten konnte, finden sich bis heute - auch wenn die Blogger der oppositionellen Kifaya Bewegung längst andere Kanäle der politischen Kommunikation verfolgen. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Printausgabe/31.10.2009)