Dagmar Ruhwandl

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Unterforderung oder starke Belastung: Jeder Mensch hat seine eigenen Grenzen. Diese gilt es zu erkunden, rät Dagmar Ruhwandl. Sie arbeitet als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Bereich Burnout-Prophylaxe. Im derStandard.at-Interview erklärt sie, wie man sich richtig entspannt, wie man eine Ausbildung neben dem Job handhabt und was eine kreative Mittagspause ist.

derStandard.at: In ihrem Buch schreiben Sie von drei Phasen eines Burnouts. Wie sehen diese aus, wie kann man rechtzeitig die ersten Anzeichen erkennen?

Dagmar Ruhwandl: Ich mache das immer an drei entscheidenden Warnsignalen fest. Zunächst entsteht die Unfähigkeit zu Regenerieren. Auch nach einem längeren Urlaub lädt sich der Akku nicht mehr auf. Ein Zitat einer Patientin veranschaulicht das ganz gut: "Ich war zwei Wochen auf Urlaub und es kommt mir vor wie eine halbe Stunde." Denn viele Patienten haben verlernt, sich richtig zu entspannen.

Die zweite Phase ist der Rückzug und die Kontaktvermeidung. Die Betroffenen erledigen nur noch ihre Routineaufgaben und reduzieren die Kommunikation am Telefon oder mit den Kollegen auf das Notwendigste. 

Die dritten Phase ist der Verlust des Selbstbewusstseins. Das betrifft sogar Menschen, die 20 Jahre Erfolge in ihrem Beruf eingeheimst haben, aber plötzlich das Gefühl haben, ihren Beruf verfehlt zu haben.

derStandard.at: Wie kann man sich vor einem Burnout schützen?

Ruhwandl: In der ersten Phase eines Burnouts kommen viele Patienten noch nicht zu mir. Was ich raten kann ist, sich zu erinnern: Was habe ich früher zur Entspannung gemacht? Oder: In welcher Lebensphase ging es mir gut? Falls das nicht funktioniert, muss man etwas "Neues" erfinden, also neue Entspannungsmethoden oder einmal länger auf Urlaub gehen.

Die zweite Phase der Kontaktvermeidung bemerken oft zuerst Kollegen und Angehörige. Wichtig ist es hier, professionelle Hilfe anzunehmen. Eine meiner Patientinnen war zum Beispiel immer sehr rege und kontaktfreudig. Als sie von einem Burnout betroffen war, hat sie ein dreiviertel Jahr keine Freunde mehr angerufen. Das musste sie sich Schritt für Schritt wieder zurück erobern.

Ich stelle mit meinen Patienten für so eine Situation Merksätze zusammen, wie zum Beispiel: "Wenn ich innerhalb von einer Woche keine Freunde treffe, muss ich anrufen." Das garantiert zumindest eine Mindestanzahl von sozialen Interaktionen außerhalb des Berufs. Denn wenn man erst mit der Kontaktvermeidung anfängt, schaukelt sich das hoch und man gerät in einen Teufelskreis.

derStandard.at: Falls sich Betroffene schon in Phase 3 befinden, wie kann man akute Erschöpfung therapieren?

Ruhwandl: Die vorhin genannten Punkte braucht man zum Aufbauen. Aber wichtig ist in der Therapie die Ursachenforschung: Wie konnte es soweit kommen? Wieso erkennt man nicht mehr rechtzeitig den Punkt, an dem man kürzer treten sollte?

Eventuell sind hier Veränderungen am Arbeitsplatz und eine Reduktion der Stundenzahl notwendig.

derStandard.at: Sie raten im ihrem neuen Buch zu "kreativen Mittagspausen". Wie sehen diese aus und wieso sind sie sinnvoll?

Ruhwandl: Ich kenne die Situation in Österreich nicht so gut, aber in Deutschland gibt es mittlerweile in vielen großen Städten diesbezüglich Angebote: Museen und Konzerthäuser bieten Programme an, die sich in einer Mittagspause ausgehen, natürlich vorausgesetzt diese Orte befinden sich in der Nähe des Arbeitsplatzes. Oft bekommt man zur Eintrittskarte einen Sandwich oder Kaffee dazu.

derStandard.at: Um der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein, machen viele Menschen neben dem Beruf eine Ausbildung. Was raten Sie den Betroffenen, um mit dieser Doppelbelastung besser umgehen zu können?

Ruhwandl: Die zusätzliche Belastung muss man gut einplanen. Man darf sich da nichts vormachen: Andere Bereiche muss man gezielt zurück stellen, um Zeit einzusparen. Falls es die Finanzen erlauben, könnte man zum Beispiel eine Haushaltshilfe beschäftigen oder einen Lieferservice nutzen.

Ratsam ist es, eine Art Haushaltsbuch anzulegen und alle "Posten", die Zeit in Anspruch nehmen, aufzuschreiben: Wieviel gebe ich aus und wo kann ich Zeit abknöpfen? Außerdem ist es wichtig, sich mit Partner und Familie zusammen zu setzen. Meistens bekommt man Unterstützung, man muss die Angehörigen aber auch auf neue Belastungen vorbereiten.

derStandard.at: Abwechslung, Selbstbestätigung, intellektuelle Anregung: Kann ein weiteres Studium oder eine Zusatzausbildung vielleicht sogar eine Maßnahme gegen ein Burnout sein?

Ruhwandl: Auf jeden Fall. Ein Burnout kann ja nicht nur durch Über- sondern auch durch Unterforderung entstehen, eine Folge sind Depressionen und Unwohlsein. Das passiert gar nicht so selten. Wichtig ist es, die Balance zu finden: "Wieviel Anregung brauche ich?"

Einer Patientin hat ihr Job in der Verwaltung eines Krankenhauses zum Beispiel immer großen Spaß gemacht. Doch einen Sommer lang hatte sie plötzlich kaum noch Motivation, arbeiten zu gehen. Im Herbst wurden zwei Abteilungen zusammen gelegt und von da an ging es ihr wieder gut. Die Arbeit war ihr einfach nur zu eintönig geworden. Jeder Mensch ist unterschiedlich und einige brauchen immer wieder Abwechslung im Job. (Julia Schilly, derStandard.at, 19.11.2009)