Urlaub in Ottakring: Das Reisebüro entstand im Rahmen von Soho Ottakring und will Touristen und Wienern Berührungsängste nehmen

Foto: Gebietsbetreuung Wien

Kulinarik, Spezialgeschäfte und Lokale: Die Ottakringer Straße hat viel zu bieten

Foto: Gebietsbetreuung Wien

Ins Gespräch kommt die Ottakringer Straße vor allem, wenn in der näheren Umgebung etwas passiert oder wie bei der Fußball EM vergangenes Jahr türkische und kroatische Fans lautstark feiern. Dann wird sie die "gefährlichste Straße Wiens" genannt. Doch eines fällt auf: Während immer mehr Einkaufsstraßen in Wien langsam verwelken, blüht die 2,8 Kilometer lange Straße an der Grenze vom 16. zum 17. Wiener Gemeindebezirk auf. Migranten haben in den vergangenen Jahren eine lebendige Geschäftsstraße und Lokalszene geschaffen. Durch Aktionen wie die "Balkanmeile live", die am Freitag zum zweiten Mal statt findet, sollen Vorurteile und Berührungsängste abgebaut werden. Die Geschäftsbesitzer laden zu Verkostungen und Konzerten, eine Künstlerin gestaltet Führungen durch das Viertel.

Balkanmeile leitet sich von den BewohnerInnen ab: In den 90er Jahren hat sich eine Lokalszene für Publikum aus dem ehemaligen Jugoslawien entwickelt. Mittlerweile ist sie tagsüber auch eine Versorgungsstraße für die AnrainerInnen. Was als ethnische Ökonomie begonnen hat, also spezielle Angebote an MigrantInnengruppen, hat sich teilweise zu gut funktionierenden Geschäftsideen entwickelt. Das Sportgeschäft Radovan ist zum Wiener Spezialisten in Fußballbekleidung geworden und ehemals kleine Handygeschäfte sind zu großen Betrieben mit Standorten in der ganzen Stadt herangewachsen. Am Abend verwandelt sich die Ottakringer Straße in eine Partymeile, vor allem für Jugendliche aus der zweiten und dritten Generation.

Ein Reisebüro für Ottakring

Im Rahmen von Soho Ottakring wurde im Sommer ein leer stehendes Lokal als Reisebüro bespielt. "Die Idee war, dass man als Tourist einen neugierigen Blick auf eine Stadt hat. Die Medien und Politiker sagen, dass die Ottakringer Straße die gefährlichste Straße Wiens ist, wir wollten sie den Touristen vorstellen und dadurch entdämonisieren", sagt Architektin Amila Sirbegovic von der Wiener Gebietsbetreuung. Ziel ist es, das öffentliche Bild der Meile zu verbessern. Bei Tagestouren sollte daher hervorgehoben werden, dass es auf der Straße schöne Plätze zu entdecken gibt, wie zum Beispiel die Dachterrasse des Hotel Eurostars Vienna, die Innenhöfe des Wohnhofs Ottakring oder Geschäfte mit speziellen kulinarischen Angeboten.

Große Anklang fand zum Beispiel das polnische Geschäft Polonia Mix auf Hausnummer 58, in dem Beate Lukaszewska unter anderen spezielle Wodkasorten verkauft. "Wenn die Leute etwas nicht kennen, ist es einfacher, sie zu beeinflussen. Jetzt ist es so, dass sich gewisse Geschäfte herumsprechen und auch Leute aus anderen Bezirken kommen. Denn die Ottakringer Straße ist nicht so schlecht wie ihr Image", sagt Sirbegovic.

Historische Entwicklung

Historisch war Ottakring in der Gründerzeit ein Stadtteil, in dem hauptsächlich Arbeiter lebten, die ein breites Angebot an Gasthäusern nutzten. "Dadurch, dass die Menschen meisten nur ein Bett mieten konnten, wurde die Freizeit außerhalb verbracht", sagt die Architektin. Der Leerstand entstand langsam: Die Unternehmen von so genannten alteingesessenen Wienern wurden von den Jungen nicht mehr übernommen. Diese hatten meist schon eine höhere Ausbildung und waren nicht bereit, bis zu 18 Stunden im eigenen Geschäft zu arbeiten. "Einzelne Unternehmer und Familien haben in dem Leerstand ihre Chance gesehen", sagt Sirbegovic.

Stolz auf das Viertel

So hätten sich Anfang der 90er viele Lokale angesiedelt, die oft von Migranten betrieben wurden. Fast zeitgleich kamen die Geschäfte dazu. "Es gibt Phänomene die migrationsbedingt entstehen. Man kann das Migrantische aber nicht verallgemeinern", sagt die Mitarbeiterin der Gebietsbetreuung. So sei es nicht nur in Wien, sondern in ganz Europa zur Zeit ein Problem, dass Einkaufsstraßen aussterben. Das habe vor allem mit der gesellschaftlichen Entwicklung, dem Ausbau von Einkaufszentren und dem verstärkten motorisierten Verkehr zu tun. Migranten nutzen diese Möglichkeit und beleben die Geschäftslokale wieder. "Wir profitieren jedoch alle davon: Angebot und die Lebensqualität steigen wieder", sagt Sirbegovic. Das liege auch an Kleinigkeiten, wie der Möglichkeit am Sonntagnachmittag Brot kaufen zu können.

"Unser Ziel ist es, dass die Menschen, die im Bereich der Ottakringer Straße wohnen, das nicht als Nachteil empfinden. Ich vergleich das mit dem Bermudadreieck: Dort ist es am Abend laut, die Jugendlichen trinken Alkohol, es passiert einiges auf der Straße. Trotzdem ist es nicht schlecht, im ersten Bezirk zu wohnen", sagt Sirbegovic. (Julia Schilly, derStandard.at, 12. November 2009)