Wien - In einer idealen Welt widerspiegelt der Aufbau einer Interessenvertretung die Wirtschaftsstrukturen eines Landes. Noch besser, wenn die Strukturen so sind, dass sie Neues forcieren, quasi vorwegnehmen und unwichtiger werdende oder gar sterbende Branchen nicht über Gebühr stützten.

Die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) ist weit davon entfernt, eine solch moderne, aufgeschlossene Struktur zu haben, kritisieren viele Wirtschaftstreibende. Maßgeblich schuld daran sei der föderale Aufbau mit seiner Bezirks-, Landes- und Bundesebene. "Die Wirtschaftskammer tut sich zwar gerne als Mahnerin in Sachen Bürokratieabbau und Verwaltungsreform hervor, ist aber gerade beim Föderalismus eines der abschreckendsten Beispiele des Landes" , kritisiert Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft die WKO. Trotz diverser Reformen umfasst die Interessenvertretung immer noch rund tausend Gremien mit 17.000 Funktionären.

WKO zwischen alten und neuen Industrien

Werden etwa vier Wiener Landesinnungen zusammengelegt, wie bei "Bekleidungsgewerbe" , "Textilreiniger, Wäscher und Färber" mit den "Stickern, Strickern, Wirkern, Webern, Posamentierern" und den "Kürschnern" derzeit der Fall, entsteht zwar nur eine Innung. In dieser aber gibt es wiederum vier getrennte Ausschüsse, sodass die Mehrfachstrukturen mit einem neuen Mascherl in gewohnter Art und Weise weiterbestehen.

Noch immer gebe es in betriebsinternen Bereichen vollkommen unnötige Mehrgleisigkeiten, kritisiert Plass: So bei der Mitgliederverwaltung, im Finanz- und Rechnungswesen, bei der Informationstechnologie und beim Marketing. Untergewichtet oder ganz auf der Strecke bleiben hingegen neue Wirtschaftsthemen, die sich nicht eins zu eins in den WKO-Organisationsraster einhängen lassen: Umwelttechnik, Gesundheitsthemen, neue Energien. In solchen Fällen werden Arbeitsgemeinschaften gebildet, wo unterschiedliche Kammerbereiche an einem gemeinsamen Thema arbeiten, lässt WKO-Sprecher Rupert Haberson zu viel Umständlichkeit in den Landeskammern nicht gelten. Mittlerweile gebe es an die 30 solcher Arbeitsgemeinschaften - etwa Automatenwirtschaft, Energie/Klima, flüssige Biokraftstoffe, Kreativwirtschaft, sagt WKO-Experte Ulrich Zellenberg.

Komplexes Wahlsystem

In der Regel wird die Existenzberechtigung der Kammerstrukturen auch nicht infrage gestellt, gibt es doch eine Fülle von Funktionärsjobs. Unmut wird erst vor Wahlen laut, so wie vor dem Wirtschaftskammer-Urnengang am 1. und 2. März kommenden Jahres. Da man, um flächendeckend kandidieren zu können, pro Wahl mindestens einen Kandidaten und zusätzlich bis zu neun branchenspezifische Unterstützungserklärungen braucht, wird die Kammerwahl vor allem von den kleinen wahlwerbenden Gruppen als minderheitenfeindlich gebrandmarkt.

Haberson sieht das nicht so. "Auf der ersten Ebene wählen die Mitglieder ihre Fachorganisationsvertretung. Etwas Basisdemokratischeres gibt es gar nicht" , sagt er. Nach diesen Basis-Wahlen wird jedoch nur mehr nach Mandaten hochgerechnet, sodass das Verhältnis Wahlberechtigte - Mandate äußerst unterschiedlich ausfallen kann. Der Wiener Politologe Hubert Sickinger hat eine interessante Erklärung dafür. Da die Kammerspitze gleichzeitig Sozialpartnerverhandler ist, sei es im Interesse aller gewesen, dass der Kammerchef nicht direkt gewählt wird: "So bleibt an der Spitze viel Entscheidungsfreiheit". (Johanna Ruzicka/DER STANDARD-Printausgabe, 12.11.2009)