Hallo Wall Street, hier steht ein Störenfried, der ein paar Fragen hätte und sich nicht leicht abwimmeln lässt: Michael Moore markiert in "Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte" New Yorker US-Banken als "crime scene".

 

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... verzettelt sich aber im Beliebigen.

Wien - Das Phänomen Michael Moore mag man als Bedrohung dokumentarischer Korrektheit betrachten, als populistisches Dokutainment, das sich fragwürdiger Mittel bedient, um sein Argument an das Publikum zu bringen. Stimmt zwar, macht das Phänomen aber nicht greifbarer: Denn dokumentarische Aufrichtigkeit, der seriöse Aufbau argumentativer Linien, überprüfbare Quellen - all das war Amerikas populärstem "muckraker", dem notorischen Schnüffler und Volkstribun, schon immer ziemlich egal.

"Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte", sein neuer Feldzug gegen alles, was in den USA so falsch läuft - Immobilienkrise! Finanzkrise! Wertekrise! -, erzählt auch ein wenig darüber, wie Moore zu dem wurde, der er ist. Schließlich kehrt er darin unter anderem auch an jenen Ort zurück, von dem vor 20 Jahren alles seinen Ausgang nahm: Flint, Michigan, seine Heimatstadt. In "Roger & Me" (1989) inszenierte er sich erstmals als Fürsprecher kleiner Leute und bemühte sich umsonst um ein Interview mit Roger Smith, dem CEO von General Motors, der die Entlassung von 30.000 Mitarbeitern veranlasst hatte. In "Kapitalismus" kehrt Moore mit seinem Vater an die GM-Fabriksstätte zurück, wo dieser 30 Jahre lang gearbeitet hat. Jetzt steht dort nichts mehr: ein stiller Moment in einem redseligen Film.

Moore etablierte mit seinem ersten Filmerfolg eine Figur, deren Methoden sich seitdem nicht verändert haben. Weltumspannender wurden nur das angehäufte Material und die Topoi. Amerika veränderte sich rasant, Moore blieb der Anwalt des deprivierten Mittelstands, der immer umfassender agieren musste. Damit wucherte auch seine Person: Das Plakat von "Kapitalismus" legt gar eine Fährte zu Lenin - eher ein Spiel mit politischer Rhetorik als ernstgemeinte Strategie. Zu wenige würden ihm in diese Richtung folgen.

Moore geht es um eine Form partizipativer Demokratie, die er durch ein ökonomisch korrumpiertes Establishment gefährdet sieht. Das mag in Europa und US-Metropolen keine ganz taufrische Erkenntnis sein, für den Rest bietet er aber eine Öffentlichkeit mit Themen an, die im medialen Mainstream kaum mehr vorkommen. Seine griffigen Formeln bilden eine linke Alternative zu rechtskonservativen Sendern wie Fox News. Holzhammer gegen Holzhammer - offen bleibt, wem mit solchen Leithammeln geholfen ist.

Zumal Moore in "Kapitalismus" den Bogen wieder kräftig überspannt, um einen systemischen Zusammenhang aufzuzeigen. Die Bilder bleiben oft recht schlicht: Schon im Vorspann setzt Moore Banker mit Bankräubern gleich, um danach das Homemovie einer Familie zu zeigen, die sich gegen eine Polizeikohorte im Eigenheim verbarrikadiert. Er (oder sein großes Rechercheteam) findet aber auch Beispiele, die tatsächlich verwundern: etwa die Praxis von Firmen, ihre Mitarbeiter gegen Totalausfall ("dead peasant") zu versichern, um dann kräftig abzusahnen, wenn sie tatsächlich sterben.

Der Leim für die recht lose Ansammlung an Argumenten ist Moores Persona, wobei die Komik seines ewigen Anrennens gegen Sicherheitspersonal von Banken und Institutionen enden wollend ist. Öffnet diesem Mann doch endlich die Türen, damit auch seine Filme neue Wege nehmen können! Interessanter ist da schon Moores latenter Messianismus, der ihn diesmal direkt in die Arme katholischer Priester treibt. Sie versichern dem Filmemacher, der in seiner Kindheit selbst Gottesdiener werden wollte, nicht nur, dass Kapitalismus ein Werk des Bösen ist. Sie lassen ihn nun auch selbst in neuem Licht erscheinen: als heiligen Narren. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2009)