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In den USA nahmen AbtreibungsgegnerInnen, die sich wie hierzulande religionsnah positionieren, Statistiken zum Anlass, massiv gegen Abtreibung innerhalb von Minderheitsgesellschaften Stimmung zu machen

Foto: EPA/KAMIL KRZACZYNSKI

AfroamerikanerInnen und LateinamerikanerInnen sind in den USA Minderheitsgesellschaften, sie stellen jeweils etwa 13 Prozent der Bevölkerung. Abtreibungen werden aber vorwiegend innerhalb dieser Minderheitsgesellschaften durchgeführt: 37 Prozent der Abbrüche in den USA werden von Afroamerikanerinnen, 34 von Lateinamerikanerinnen, 22 Prozent von weißen Frauen und 8 Prozent von Anderen durchgeführt (die Zahlen stammen aus dem Jahr 2004). Diese Zahlen sind bekannt, weil in den USA eine Meldepflicht zu vorgenommenen Abbrüchen besteht.

Kürzlich wurde auch für Österreich durch Christine Marek der Ruf nach "gesichertem Datenmaterial" laut, der von der Pro-Life Bewegung "Aktion Leben" unterstützt wird. Man wolle die Motive der Frauen, die einen Abbruch machen lassen, kennen, um Abtreibungen gezielt zu verhindern. Für das Ambulatorium pro:woman, für die Grünen und auch für das Frauengesundheitszentrum ISIS ist die Forderung nach Motiv-Forschung nicht nachzuvollziehen, denn die Gründe für Abtreibungen bzw. für ungewollte Schwangerschaften kenne man längst, heißt es von diesen Expertinnen. Gründe, die sich von jenen der in den USA lebenden Frauen wenig unterscheiden, wo eine Diskussion aufgrund des Datenmaterials über Abtreibungen ausgebrochen ist.

Daten nützen AbtreibunsgegnerInnen

In den USA nahmen AbtreibungsgegnerInnen, die sich wie hierzulande religionsnah positionieren, die Zahlen zum Anlass, massiv gegen Abtreibung innerhalb von Minderheitsgesellschaften Stimmung zu machen. So beispielsweise die "Issues4LifeFoundation", deren Ziel lautet: "Kein afroamerikanisches Leben darf durch Abtreibung oder Biotechnologie verloren gehen". Diese neue Welle der Antiabtreibungsbewegung in den USA argumentiert, dass Abtreibung unter Afroamerikanerinnen einem "schwarzen Genozid" gleichkomme.

Susan A. Cohen geht in ihrem Artikel "Abortion and Woman of Color: The Bigger Picture" (erschienen auf der Website des Guttmacher-Instituts) den strukturellen Diskriminierungen von Afroamerikanerinnen und Lateinamerikanerinnen nach, die für die höheren Zahlen ausschlaggebend sind. Die aktuelle Antiabtreibungs-Agenda würde die Fakten sinnentstellt darstellen und verdrehen, so Cohen. Und sie ignoriere das grundlegende Problem der Ungleichbehandlung verschiedener Ethnien, die sich durch diverse Bereiche der Gesundheitsvorsorge ziehen. Cohen ruft den Grund für eine Abtreibung in Erinnerung, so trivial dieser auch sein mag: Eine ungewollte Schwangerschaft. Die Zahlen von ungewollten Schwangerschaften stehen in allen ethnischen Gruppierungen in einem direkten Verhältnis zu den Abtreibungszahlen. Die Zahl der ungewollten Schwangerschaften ist, wie bei den Abbrüchen, bei Afroamerikanerinnen am höchsten. Und das, obwohl es keine Unterschiede zwischen Weißen und Afroamerikanerinnen in Bezug auf den Kinderwunsch gibt.

Wahl der Verhütungsmittel

Im Jahre 2002 verwendeten 15 Prozent der Afroamerikanerinnen keine Verhütungsmittel, 12 Prozent der Lateinamerikanerinnen und nur 9 Prozenten der weißen Frauen. Die Wahl der Verhütungsmittel und die Herausforderungen des täglichen Lebens beeinflussen die ungewollten Schwangerschaften bei Women of Color - vor allem bei jungen, unverheirateten und ärmeren Frauen - dahingehend, dass sie einen niedrigeren Schutz durch Verhütungsmittel haben. ForscherInnen des Guttmacher-Instituts nennen als Grund dafür einen differenten geographischen Zugang sowie schlechtere finanzielle Möglichkeiten: Sichere und effektive Verhütungsmethoden sind teuer. Benachteiligungen zwischen ethnischen Gruppierungen gibt es nicht nur in Bezug auf "erfolgreiche Verhütung". Auch im gesamten Spektrum der Gesundheitsvorsorge und der medizinischen Versorgung sind Afroamerikanerinnen und Lateinamerikanerinnen diskriminiert, so Cohen. Im Jahre 2002 berichtete das Institute of Medicine (IOM), dass Minderheiten im Vergleich zur weißen Bevölkerung weniger - auch notwendige - medizinische Behandlungen erhalten.

Strukturelle Benachteiligung verschleiert

Diese strukturelle Benachteiligungen würde aber durch eine "Black Genozid"-Darstellung verschleiert werden, so Maame-Mensima Horne in ihrem Kommentar "Black Abortion: Breaking the Silence" im "On the Issues Magazin. The progressive Woman´s Magazine". Religiöse Anti-Abtreibunsgruppierungen würden Frauen des Völkermordes bezichtigen, wenn sie als Angehörige einer Minderheit eine Abtreibung durchführen lassen. "Zuallererst ist es eine Missinterpretation, Abtreibung als Genozid zu bezeichnen. Das Recht auf Abtreibung schützt das Leben innerhalb der Black-Communities", so Horner und verweist - wie auch in anderen Debatten zwischen AbtreibungsgegnerInnen und BefürworterInnen - auf die lebensbedrohliche Komponente illegaler Abtreibungen. 

Abseits von "Black Genozid"-Polemik fußen auch diese Stimmen gegen das Recht auf Abtreibung darauf, "dass die Mutterrolle höher bewertet wird als alles andere, es ist aber nur eine von vielen Rollen, zwischen denen sich Frauen entscheiden können", so Horne. Kein großer Unterschied also zu herkömmlichen Antiabtreibunsbewegungen. Schließlich plädiert Horne dafür, den institutionellen Rassismus zu fokussieren, statt Frauen von ihrem Recht auf Selbstbestimmung fernzuhalten.

Abtreibunsstatistiken für Österreich?

Welche Lehren lassen sich daraus für die Diskussion in Österreich ziehen? Für Christian Fiala, ärztlicher Leiter des Gynmed Ambulatoriums, versteckt sich hinter der aktuellen Forderung nach Datenmaterial "die Phantasie, man könne Abbrüche verhindern oder die Häufigkeit reduzieren, wenn man besser über Hintergründe und Häufigkeit Bescheid wüsste", so Fiala gegenüber dieStandard.at. Es gäbe keinen Hinweis dafür, dass Länder mit einer statistischen Erfassung weniger Abbrüche hätten, was derzeit die zentrale Argumentation für eine Abtreibungsstatistik ist. Wie Cohen betont auch Fiala die direkte Verbindung zwischen Schwangerschaftsabbrüchen und der Qualität der Verhütung. "Länder wie Holland haben eine sehr niedrige Rate an Abbrüchen, weil die Menschen dort wirksam verhüten und darin von der öffentlichen Hand unterstützt werden. Andererseits haben Länder wie die USA oder Großbritannien eine eher hohe Rate an Abbrüchen, weil dort schlecht verhütet wird."

Präventionsmaßnahmen sind bereits bekannt

Wirksame Präventionsmaßnahmen seien bereits hinlänglich bekannt, wie Verhütungsmittel auf Krankenschein, ein niederschwelliges Angebot für Verhütungsmittel, z.B. die 'Pille danach' rezeptfrei oder regelmäßige Kampagnen für die Anwendung wirksamer Verhütungsmittel. "Eine Statistik würde uns überhaupt nicht weiterbringen. Sie wäre eher eine Beschäftigungsmaßnahme oder Alibi-Aktion, die davon ablenkt, dass wir wirksame Maßnahmen aus gesellschaftspolitischen Gründen nicht umsetzen", resümiert Fiala.

Wenn dem so ist, dass Informationen über die Gründe von Abbrüchen bereits zu Genüge zur Verfügung stehen, bleibt die Frage, ob die Forderung nach "Datenmaterial" nicht vielmehr eine Forderung nach reinen Abtreibungszahlen ist. Susan A. Cohen zeigte, dass Abtreibungsstatistiken ohne Hintergründe zu den präsentierten Zahlen einer missbräuchlichen Argumentation - beispielsweise für religiöse Ideologien - Tür und Tor öffnen können. Wie sehr sich solche verkürzten Darstellungen von Statistiken, gerade bei so streitbaren Themen wie Abtreibung, für Missinterpretationen anbieten und "fundierte Daten" sich so gegen Frauenrechte auslegen lassen, zeigt die Debatte um die differenten Abtreibungszahlen zwischen ethnischen Gruppen in den USA. (beaha, dieStandard.at, 15.11.2009)