"Wenn der Zentralismus regiert, bleiben die ländlichen Gebiete auf der Strecke" , kontert Hans Niessl: "Wen in Wien interessiert, was an der slowenischen Grenze passiert?"

Foto: STANDARD/Fischer

"Eine reine Politshow, bei der sich Abgeordnete profilieren" , finde in den Ländern statt, gibt Raidl zurück: "Das ganze Klimbim rundherum braucht keiner!"

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Standard: Herr Generaldirektor, vor Ihnen sitzt ein Landeshauptmann. Würden Sie Ihr Gegenüber am liebsten abschaffen?

Raidl: Nein. Ich will nicht den Landeshauptmann abschaffen, schon gar nicht den Herrn Niessl persönlich, der ist ja sehr sympathisch. Ich will auch nicht die Länder abschaffen. Aber ich würde ihnen Kompetenzen wegnehmen, zu allererst jene, Gesetze zu beschließen. Es ist eine große Übertreibung, dass sich Österreich zehn Gesetzgeber - neun Landtage, National- und Bundesrat - leistet. Der Föderalismus kostet sehr viel Geld.

Niessl: Zentralismus führt nicht zu Sparsamkeit, sondern zu noch aufgeblähterer Bürokratie. Eine bürgernahe und effiziente Verwaltung ist nur in der Hand der Länder möglich, gerade das Burgenland ist ein Musterbeispiel. Wir waren das Armenhaus mit der niedrigsten Lebenserwartung. Heute haben wir zum Durchschnitt Österreichs aufgeschlossen, liegen bei der Maturantenquote an zweiter Stelle, blicken auf zehn Jahre überdurchschnittliches Wachstum zurück.

Standard: Das hängt wohl eher mit den EU-Förderungen zusammen als mit dem Föderalismus, den es ja in allen anderen Ländern auch gibt.

Niessl: Es ist ein Verdienst der Landtage, das Geld richtig einzusetzen. Wen in Wien interessiert, was in Heiligenkreuz an der slowenischen Grenze passiert? Nicht einen interessiert das, die Gegend ist sowas von peripher! Wenn der Zentralismus regiert, wird der Rechenstift angesetzt und der Wirtschaftspark dort gebaut, wo's günstiger ist. Die ländlichen Gebiete bleiben dann auf der Strecke.

Raidl: Die Länder sollen ja regionale Förderungen verteilen dürfen, doch dafür brauch ich weder Gesetzgebung noch den Riesenaufwand des Landtages. Ein Landeshauptmann hat's gut, aber den besten Job hat der Landtagspräsident: Hast ein Auto, ein Büro, zehnmal im Jahr Sitzung; zwischendurch musst du halt deine Parteifreunde bedienen. Ansonsten fährst du von Konferenz zu Konferenz, das ist ein reines Reisebüro. Ich bin's den honorigen Herren ja nicht neidig. Aber bei diesen Auswüchsen muss ein scharfer Schnitt her. Das Burgenland ist so groß wie eineinhalb Wiener Bezirke - da braucht es keine sieben Landesräte.

Niessl: Wir wollen ja sowohl die Landesregierung, als auch die Landtage verkleinern. Die Bremser sitzen da in der ÖVP. Natürlich kostet Regionalität auch etwas. Sie ist für mich aber ein wichtiger Gegenpol zur Globalisierung. Zentralismus sorgt für Politikverdrossenheit. Das zeigt die niedrige Wahlbeteiligung bei EU-Wahlen.

Raidl: Ich habe mir angeschaut, was der Landtag im Burgenland so tut - nämlich nicht viel. Das ist zum Teil Kabarett. 80 Prozent der heurigen Tagesordnungspunkte waren so genannte Entschließungsanträge. Da wird die Landesregierung etwa aufgefordert, die Bundesregierung aufzufordern, gegen Manager-Boni vorzugehen. Welche Kompetenz, bitte, hat das Burgenland für Managergehälter? Das ist so, als ob der Hund den Mond anbellt. Eine reine Politshow, bei der sich Abgeordnete profilieren.

Niessl: So etwas kann schon einmal vorkommen. Landtage beschließen aber eben auch, was das Volk denkt - etwa wenn die AUA verschenkt wird und die Manager auch noch Boni kassieren sollen. Überhaupt, wenn ich mir die Arbeit des Bundes anschaue: Die Privatisierungen von Austria Tabak und Bundeswohnungen, die ÖIAG - Versagen an allen Enden. Der Bund könnte hunderte Millionen einsparen, statt auf die Länder loszugehen.

Raidl: Der Bank Burgenland-Skandal war auch kein Ruhmesblatt.

Niessl: Nur sind wir für den Schaden gerade gestanden. Auf Bundesebene springt der Steuerzahler ein.

Raidl: Sie kriegen ihr Geld doch auch vom Steuerzahler. Es ist ja nicht so, dass Sie irgendwo eine Gelddruckmaschine haben.

Standard: Länder geben locker Geld aus, das sie nicht einnehmen - ist das nicht das Grundübel?

Raidl:Die unpopuläre Arbeit des Steuereintreibens wollen sie nicht, die populäre des Ausgebens schon.

Niessl: Das stimmt so nicht. Der Bund zahlt zum Beispiel ja nicht alle Lehrer, auch Länder tragen wesentliche Summen bei.

Raidl: Die sie vorher vom Bund bekommen haben. Sie heben selbst ja nur minimal Steuern ein.

Niessl: Das Geld gehört dennoch nicht dem Bund, sondern allen Steuerzahlern. Wenn die Länder selbst Steuern einheben, könnte es ein Steuerdumping geben.

Raidl: Konkurrenz halt - wär gar nicht schlecht.

Niessl: Dazu bräuchte man erst recht zusätzliche Verwaltung ...

Raidl: ... weshalb ich die Idee unterm Strich auch skeptisch sehe.

Niessl: Sparsam gehen wir mit dem Geld ohnehin um. Wir wollen den Landtag verkleinern, haben Dienstfahrzeuge abgeschafft. Sogar manche Schulen sind geschlossen worden, Spitalsabteilungen und Kasernen ebenfalls. Das Land hat schon einiges auf sich genommen.

Raidl: Ich kann mich aber noch an den Aufschrei erinnern, als die Militärkommandanten abgeschafft werden sollten - eine lächerliche Sache. Was das mit Bürgernähe zu tun hat, ist mir schleierhaft.

Niessl: Das kann ich Ihnen erklären. Im Südburgenland gab es im Sommer eine Hochwasserkatastrophe. Das Bundesheer war dabei im Einsatz, der Militärkommandant rund um die Uhr erreichbar.

Standard: Und in Wien wäre niemand ans Telefon gegangen?

Niessl: Haben S' einmal in einem Wiener Ministerium angerufen?

Standard: Das tu ich fast jeden Tag - meistens erreiche ich wen.

Niessl: Bis der General aus Wien im Auto im Südburgenland ankommt, sind die Leut' ersoffen.

Raidl: Aber wo, der hätte ja seinen Abteilungsleiter in Eisenstadt. Das ganze Klimbim rundherum braucht keiner. Auch wenn das folkloristisch ganz schön sein mag.

Standard: Was würden Sie den Ländern noch alles wegnehmen?

Raidl: Da die große Staatsreform nicht geht, sollte man in Schritten vorgehen. Erstens bei der Gesundheit, zweitens bei den Schulen - in beiden Bereichen soll der Bund alle Kompetenzen bekommen. Drittens müssen die Länder ihre üppigen Beamtenpensionen kürzen. Laut Rechnungshof kann das Burgenland da noch einsparen.

Niessl: Das ist schon geschehen. Wir haben die Empfehlungen des Rechnungshofes sofort umgesetzt.

Raidl: Dann gratuliere ich. Aber man muss auch sehen, dass hohe Beamte im Land mehr verdienen als ein Sektionschef im Bund. Oder die Gagen in den Gemeinden: Da wird der Sekretär durch Handauflegen des Bürgermeisters quasi zum hoch bezahlten Hofrat. Die ärgste Vergeudungspolitik herrscht aber im Gesundheitsbereich, auch im Burgenland. Es gibt ein Spital in Hainburg, Niederösterreich, und eines im benachbarten Kittsee, Burgenland. Mit ordentlicher Spitalsplanung könnte man jährlich 7,5 Millionen einsparen, sagt der Rechnungshof. Dieses Problem existiert nur, weil die Spitäler den Ländern unterstehen.

Niessl: Im Gegenteil, das ist wieder ein Beispiel, wie wichtig die Länder sind. Der Rechnungshof schreibt auch, dass das Krankenhaus Kittsee zu den bestgeführten in Österreich zählt. Wir haben daraus ein Vorzeigespital gemacht, auch was Kooperationen betrifft.

Standard: Dass diese mit Hainburg nicht funktioniert, gibt sogar die auch nicht gerade zentralistische ÖVP Niederösterreich zu.

Niessl: Wir wollen auch nicht mit Hainburg kooperieren.

Raidl: Weil's Niederösterreich ist!

Niessl: Das stimmt teilweise, weil wir eine bessere, burgenländische Lösung haben. Im Verbund mit anderen Spitälern haben wir großes Einsparungspotential ausgeschöpft - nur liegen diese nicht in Hainburg, sondern etwa in Eisenstadt. Die eine oder andere Abteilung, etwa die Geburtenstation, wurde auch geschlossen. Die Leut‘ fahren jetzt allerdings eher nicht nach Hainburg, sondern nach Wien oder Oberpullendorf.

Raidl: Kitsee mag gut geführt sein, aber darum geht es nicht. Wäre der Bund zuständig, dann wären zwei große Spitäler in so großer Nähe nie gebaut worden. Ich sehe ja ein, dass es jedem Landeshauptmann wurscht ist, was jenseits der Grenze passiert, er wird nur von seinen Bürgern gewählt. Aber dadurch fehlt überregionales Denken - und das kommt uns teuer.

Standard: Trauen Sie Ihrem Gegenüber eine Verwaltungsreform zu, Herr Raidl? Oder wurde da der Bock zum Gärtner gemacht?

Raidl: Man kann die Föderalismusreform nicht Landeshauptleuten überlassen; Ihr Partner von der ÖVP, der Vorarlberger Herbert Sausgruber, ist ja auch nicht von Reformen beseelt, um es höflich auszudrücken. Es sind die Länder, die Einfluss verlieren müssen, deshalb handeln sie nach dem Grundsatz "Wehret den Anfängen" .

Standard: Sind die 3,5 Milliarden Euro, die die Regierung mit einer Verwaltungsreform einsparen soll, realistisch?

Niessl: Ich sehe die Möglichkeit nicht, diese 3,5 Milliarden einzusparen. Die Aufgaben, etwa im Gesundheitsbereich, werden eher mehr als weniger. Alles Geld, das dort eingespart wird, muss man direkt beim Patienten einsetzen.

Raidl: Ich hielte das Ziel für realistisch. Dennoch bin ich äußerst pessimistisch. Die große Reform wird nicht gelingen. Früher - da werden Sie sich wundern - war die SPÖ meine Hoffnung für eine Neuorganisation. Das ist sie nicht mehr, weil sie auch schon vier Landeshauptleute hat, die auf ihre Kompetenzen schauen und sonst nichts. Wenn ich Franz Voves in der Steiermark beobachte: Der benimmt sich genauso, wie die ärgsten Betonierer. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe 14./15.11.2009)