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Nie war der ORF freier als unter Gusenbauer, sagt Gusenbauer. ORF-Chef Wrabetz lacht im Bild mit.

Foto: APA/Gindl

Graz - Warum nicht früher? Warum sprechen Politiker erst im Nachhinein, dann, wenn sie aus der Politik ausgestiegen sind, gewisse Wahrheiten aus?

Auch Exbundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) benötigte eine längere Auszeit, ehe er sich nun doch "in aller Deutlichkeit" beim Medienseminar "Brain in the City" an der Universität Graz über die politischen Machenschaften rund um das öffentlich-rechtliche Medium ORF äußerte. Die österreichische Politik müsse sich endlich entscheiden, was sie mit dem ORF vorhabe. Entweder sie entwickle den ORF in Richtung "weiterer RTLisierung" oder sie sichere die Institution als öffentlich-rechtliches Medium - mit allen Auswirkungen auf die Förderungspolitik - ab. Die jetzige Situation: nicht Fisch, nicht Fleisch.

Die bisherige Praxis der politischen Vereinnahmung habe jedenfalls nichts gebracht. Der ORF werde gerade "so weit aufrechterhalten, damit er nicht absauft". Dann würden ihm "wieder ein paar Sauerstoffinjektionen gegeben, die ihn weiter knapp über dem Wasser halten".

Am Gängelband der Parteipolitik

Auf diese Weise bleibe der ORF am Gängelband der Parteipolitik hängen. Dieser parteipolitische Einfluss müsse endlich eingegrenzt werden. Gusenbauer über das Medieninteresse seiner ehemaligen Kollegenschaft: "Die Politik interessiert sich nicht für den ORF als Medium, sondern nur für den Informationsteil und wie sie ihn beeinflussen und kontrollieren kann."

Gusenbauers medienpolitischer Befund: Jede ORF-Führung werde abgekauft gegen politischen Einfluss. Alle Reformen hätten nur einem einzigen Hintergedanken gedient: "Wie kann ich den politischen Zugriff optimieren?" Die laufende ORF-Debatte sei paradigmatisch: Damit die ÖVP der Abgeltung von Gebührenbefreiungen zustimmt, soll ihr Wunschkandidat Richard Grasl kaufmännischer Direktor werden, mitten in der laufenden Funktionsperiode.

Gusenbauer - frei von Selbstkritik - fühlt sich berechtigt zu seiner Grundsatzschelte: "Nie war der ORF freier als in meiner Zeit als Bundeskanzler." (Walter Müller/DER STANDARD; Printausgabe, 16.11.2009)