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ÖVP-Chef Josef Pröll will sich Reformen von Schweden abkupfern.

APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH

Wien - Die Skandinavier sind die Streber Europas. Ob Frauenförderung, Schulen oder Wohlfahrtsstaat - wer Reformen durchziehen will, kupfert gerne von den Nordländern ab. Unlängst reihte sich Vizekanzler und ÖVP-Chef Josef Pröll in die Fangemeinde ein: "Wie es funktionieren kann, haben uns Schweden und Finnland gezeigt."

Beispiel Schweden, das schon Anfang der Neunziger erlebte, was nun ganz Europa durchmacht: Eine geplatzte Immobilienblase katapultierte das Land tief in eine Krise, die Banken nur dank Notverstaatlichung überlebten. Binnen drei Jahren sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,5 Prozent, die Arbeitslosenrate kletterte auf neun Prozent. 1993 betrug das Budgetdefizit elf Prozent des BIP. Zum Vergleich: Österreich peilt heuer ein Minus von 3,9 Prozent an.

Fünf Jahre danach standen die Schweden freilich mit einem Plus von 1,1 Prozent da. Geschafft haben sie das auch mit Rezepten, die Pröll partout nicht in sein Heilprogramm aufnehmen will. "Gut die Hälfte der Konsolidierung erfolgte durch höhere Steuern", sagt der Wirtschaftsforscher Markus Marterbauer, der nicht nur in Schweden geboren ist, sondern sich auch wissenschaftlich mit dem nordischen Modell beschäftigt.

Scharfe Steuererhöhungen

Vorübergehend von 50 auf 55 Prozent angehoben wurde der Spitzensteuersatz, was 20 Prozent der Steuerpflichtigen betraf; während hierzulande gerade drei Prozent den Höchsttarif zahlen, setzt dieser in Schweden viel früher ein. In die Höhe schnalzten aber auch Massensteuern, die untere Schichten verhältnismäßig mehr belasten: Mehrwertsteuern auf Transport und Lebensmittel sowie die Tabaksteuer. Erhöht wurden weiters die Mineralölsteuer, die Lohnsummensteuer für Unternehmer und die Sozialversicherungsbeiträge. Geld in die schwedische Kasse spülten auch (Re-)Privatisierungen während des Aufschwungs.

Für entscheidend hält Marterbauer aber, dass die schwedischen Regierungen - bis 1994 regierten die Konservativen, danach die Sozialdemokraten - Angstsparen verhinderten. Trotz Krise gaben die Bürger Geld aus und kurbelten damit die Wirtschaft an, die Sparquote sank auf ein Prozent. Der Wirtschaftsforscher erklärt dies damit, dass die Säulen des Wohlfahrtsstaates nicht infrage gestellt wurden, wiewohl einige Leistungen temporär gekürzt wurden. So sanken Krankengeld, Arbeitslosengeld und Karenzgeld von 90 auf 75 Prozent des Letzteinkommens.

Allerdings, warnt Marterbauer, betrage das Niveau des Arbeitslosengeldes in Österreich schon jetzt nur 55 Prozent - weshalb eine Senkung zu Armut führen würde. Überhaupt hält er den "umfassenderen Sozialstaat" für ein schwedisches Atout, das für Stabilität in Krisenzeiten sorge. Mehr Geld fließt in Ganztagsschulen, Kinderbetreuung oder Pflege, aber auch in die Bildung (7,5 Prozent des BIP gegenüber sechs Prozent in Österreich). Dafür zahlen die Schweden 48,2 Prozent des BIP an Steuern, hierzulande sind es 41,9 Prozent. Auch die Steuern auf Vermögen sind höher, liegen jedoch unter dem Schnitt der OECD-Länder. Marterbauer erkennt darin eine Grundregel: Umverteilung von sparfreudigen zu konsumfreudigen Gruppen, ergo von oben nach unten. Denn während das unterste Einkommensdrittel acht von zehn Euro sofort wieder ausgibt, sind es beim obersten Drittel nur vier Euro.

Mit Mut gegen Pensionisten

Doch nicht alles lässt sich kopieren. Schweden wertete die Währung, die Krone, um ein Drittel ab und provozierte einen Exportboom - unmöglich für ein Euro-Land. Auch der Aufschwung der Informationstechnologien, von dem der Nordstaat via Leitunternehmen Ericsson profitierte, war ein Sonderfall. Zwar kann Österreich in Umwelttechnologie investieren; aber ob die Nachfrage tatsächlich explodiert, steht in den Sternen.

Für eine andere Maßnahme bräuchte es nur Mut: Die Schweden haben in der Krise die automatische Anpassung der Pensionen an die Teuerung abgeschafft. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2009)