"Innerparteiliche Intrigen und Raunzereien unter der Wahrnehmungsschwelle zu halten", das waren laut Görg die Verdienste Johannes Hahns als Partei-Obmann der Wiener ÖVP.

Foto: derStandard.at/Winkler-Hermaden

Die Uni-Proteste kann Görg nachvollziehen. "Wer, wenn nicht Studenten, soll frech sein."

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Über seine Entscheidung als einziges Parteivorstands-Mitglied 2000 gegen eine Schwarz-Blaue Regierung zu stimmen, sagt Görg heute: "The Gentleman's not for turning."

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"Für ein Amt hat der die größten Chancen, der sagt, dass er dafür nicht zur Verfügung steht." So kommentiert Bernhard Görg, einst ÖVP-Chef in Wien, den Bestellungsvorgang von Christine Marek zur Parteiobfrau. Dass sie es schwer haben könnte, glaubt er nicht. Es sei eine Irrmeinung, dass die ÖVP nach wie vor ein Männerverein wäre. Im Interview spricht er über die Nervosität der Parteien im Wahlkampf, das "Giganten-Duell" um Wien und warum er sich eine rot-schwarze Stadtregierung wünscht. Die Fragen stellten Teresa Eder und Rosa Winkler-Hermaden.

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derStandard.at: Christine Marek ist die neue Parteichefin der ÖVP Wien. Wie beurteilen Sie die Vorkommnisse der letzten Wochen?

Görg: Die ÖVP-Wien hatte diesmal ein Luxusproblem. Sie hatte zwei sehr gute Kandidaten, sowohl den Harry Himmer als auch die Frau Marek. Harry Himmer wäre für einen Wahlkampf in Richtung Wirtschaftskompetenz gestanden. Alle bürgerlichen Parteien in Europa profitieren momentan von ihrer Wirtschaftskompetenz. Ich war immer Meinung, dass das das Hauptthema sein sollte. Die Frau Marek wird das anders, aber sicher sehr gut machen.

derStandard.at Es ist noch fast ein Jahr bis zu Wahl, aber es scheint, dass der Wahlkampf schon begonnen hat. Die Parteien bringen sich in Stellung. Überrascht es Sie, dass das so früh passiert?

Görg: Bei der Wiener Wahl ist es traditionell immer so, dass die Nervosität relativ früh einsetzt. Das ist zum Teil von der SPÖ angeheizt worden. Im letzten Jahr hat es immer wieder geheißen, die Wahl wird vorverlegt. Man hat gehört, es gibt Urlaubssperren in der SPÖ. Das hat alles zum Psychokrieg gehört und daher überrascht es mich überhaupt nicht.

derStandard.at: Christine Marek wird als Ursula-von-der-Leyen-Typ beschrieben, als liberale Politikerin. Ist es das, was die ÖVP braucht?

Görg: Ich bin mit solchen Zuordnungen sehr vorsichtig. Harry Himmer ist ja auch nicht der Karl-Theodor von und zu Guttenberg in der Wiener ÖVP. Sie ist die Christine Marek, sie strahlt eine sehr große Menschenfreundlichkeit aus, sie strahlt aus, dass sie sich selbst und damit auch andere Menschen mag und das halte ich in der jetzigen Situation für sehr gut.

derStandard.at: Marek ist die erste Frau an der Spitze der Wiener ÖVP. Wird das eine Rolle spielen?

Görg: Ganz sicher nicht. Zu glauben, die ÖVP ist noch immer ein Männerverein und Frauen werden noch immer mit scheelen Augen angesehen, weil die männerbündische ÖVP unter sich bleiben möchte, ist eine völlige Irrmeinung. Genauso wie es eine Irrmeinung ist, wir in der Wiener ÖVP sind noch immer stark zwischen Wirtschaftsbund und ÖAAB getrennt. Da gibt's keine Gräben. Christine Marek war Betriebsratsobfrau und Arbeiterkammerrätin und ist trotzdem von der Mehrheit des Wirtschaftsbundes gewählt worden. Das zeigt schon, wie die Grenzen ineinander fließen.

derStandard.at: Der Bestellungsvorgang war ja etwas seltsam: zuerst wollte niemand an die Spitze, dann hatte sich mit Harry Himmer endlich jemand gefunden, er konnte sich aber nicht durchsetzen. Marek hat sich dann überreden lassen. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Görg: Es gibt in der Politik ein altes Quasi-Naturgesetz: Für ein Amt hat der die größten Chancen, der sagt, dass er dafür nicht zur Verfügung steht. Ich habe auch lange geglaubt, die Christine Marek wird es trotz ihrer ursprünglichen Dementi wirklich machen, habe ihr aber spätestens vor 14 Tagen ihr "nein" wirklich abgenommen.

derStandard.at: Welche Rolle hat Josef Pröll Ihrer Ansicht nach gespielt? War Marek seine Wunschkandidatin?

Görg: Ich sitze weder im Vorzimmer vom Josef Pröll, noch höre ich seine Telefonate mit: Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, er wird mit Frau Marek sehr gut leben können

derStandard.at: Hahn geht nach Brüssel. Verliert die Wiener ÖVP den besten Mann?

Görg: Das wäre gegenüber Christine Marek unfair, das so zu sagen. Faktum ist, dass Gio Hahn es sehr gut gemacht hat. Es hat sich ausgezahlt, dass er Minister geworden ist, weil es ihm gut gelungen ist, die innerparteilichen Intrigen und die Raunzereien unter der Wahrnehmungsschwelle zu halten. Das hat auch damit zu tun, dass man größere Hemmungen hat, einem Obmann, der Minister ist, ans Bein zu pinkeln als einem nicht-amtsführenden Stadtrat. Darüber hinaus hat er viel Zeit und Geduld investiert, um die Leute bei Laune zu halten.

derStandard.at: Jetzt, wo in Österreich gerade eine Bildungsdebatte geführt wird, wird Hahn nach Brüssel abberufen. Macht das ein gutes Bild bei der Bevölkerung?

Görg: Das müssen Sie den Herrn Faymann fragen. Weil der hat den Willi Molterer blockiert. Und dann war offenbar zwischen Sepp Pröll und Faymann abgemacht, wenn nicht Molterer, dann Gio Hahn.

derStandard.at: Die ÖVP kritisiert die Uni-Proteste und Besetzungen. Wie stehen Sie dazu?

Görg: Ich bin schon relativ alt. Ich habe die Erfahrung in meinem Leben gemacht, dass manchmal die Vernunft siegt, manchmal die Geduld, aber am öftesten Frechheit. Und wer, wenn nicht Studenten, soll frech sein.

Die Unis brauchen aber mehr Geld, das zum Teil auch von den Studenten durch Studiengebühren kommen soll. Sie brauchen noch mehr Exzellenz, und deswegen bin ich für eine stärkere Auswahl und stärkere Zugangsregeln. Wir brauchen mehr statt weniger Eliten an den Unis.

derStandard.at: Sie sind einst für die Entkriminalisierung der Homosexualität eingetreten. Wie beurteilen Sie die Einigung für die eingetragene Partnerschaft?

Görg: Mir soll das alles recht sein, was da passiert ist. Mir ist es egal, ob das am Standesamt oder am Magistrat eingetragen wird. Ich selber habe aber einen völlig anderen Zugang. Ich finde Homosexuelle sollten keine Steuergelder bekommen. Natürlich auch nicht kinderlose Ehepaare. Die Gesellschaft ist nicht dazu da, Liebe und Sex zu fördern. Die Gesellschaft ist dazu da, Kinder zu fördern. Wir müssen unser ganzes System auf Kinder umstellen, nicht auf verheiratet oder nicht-verheiratet.

derStandard.at: Zurück zur Wien-Wahl: Was muss das Ziel der ÖVP sein? Platz zwei?

Görg: Das ist ja schon ausgegeben. Mehr wird nicht drinnen sein. Es wird sich eine Bürgermeisterkonstellation überhaupt nicht ausgehen. Es ist illusorisch, an Schwarz-Blau zu glauben. Die ÖVP ist gut gefahren, als sie in einer Koalition mit der SPÖ war. Auch die Stadt ist gut gefahren, als wir in der Koalitionsregierung waren. Wir waren eine wesentlich bessere Regierung als die nachfolgende Alleinregierung der SPÖ. Und ich würde es durchaus für die Zukunft wieder so sehen.

derStandard.at: Also Rot-Schwarz.

Görg: Ja. Da werde ich viele Schläge dafür bekommen, aber ich bekenne mich dazu.

derStandard.at: Bürgermeister Häupl hat angekündigt, eine Volksbefragung zu den U-Bahnen und Hausmeistern durchführen zu wollen. Ein strategisch kluger Schritt?

Görg: Ich weiß nicht, ob da die große Strategie dahinter steckt. Das sind No-Na-Fragen. Zumindest hat er erreicht, dass darüber geredet und geschrieben wird. Wären wir noch in der Regierung hätte es solche Umfragen nicht gegeben. Schade ums Steuergeld.

derStandard.at: Die Grünen haben am Sonntag ihre Liste für die Wien-Wahl gewählt. Mehrere hundert Leute haben mitgewählt. Finden Sie das schön, wenn eine Liste aus einer großen Masse hervorkommt?

Görg: Das ist bei anderen Parteien sicher nicht so. Ich selbst habe immer Wert darauf gelegt, das zum Gutteil selbst bestimmen zu können. Ich habe des öfteren Kandidaten mehrmals abstimmen lassen, weil sie im 1. Wahlgang durchgefallen sind. Ich habe meiner Partei immer gesagt: „Freunde, dann sitzen wir eben bis Mitternacht da, aber ich gehe nicht nachhause, bevor dieser Kandidat nicht auf der Liste ist." Hat auch funktioniert, zum Beispiel bei Andreas Salcher, Erwin Rasinger und Michael Graff.

derStandard.at: Die FPÖ plakatiert schon seit Monaten und hat das Duell um Wien ausgerufen. Überschätzt sich Heinz-Christian Strache?

Görg: Wir erleben im Moment das, was man eine "self-fulfilling prophecy" nennt. Es wird ein Giganten-Duell herbeigeredet und herbeigeschrieben. Die Zeitungen fallen alle darauf herein. Sie zitieren ja nicht nur Strache sondern schreiben selbst, es wird ein grauslicher Wahlkampf. Das ist genau das, was den beiden Protagonisten zupass kommt.

derStandard.at: Wird es also auch der SPÖ nutzen?

Görg: Sonst würde der Bürgermeister es nicht selbst herbeireden. Man kann Michael Häupl einiges vorwerfen, aber mangelnde Intelligenz ganz sicher nicht.

derStandard.at: Falls es sich doch ausgehen sollte, dass die ÖVP mit der FPÖ eine Koalition bilden könnte, würden sie das befürworten?

Görg: Im Jahr 2000 habe ich als einziges Parteivorstands-Mitglied gegen Schwarz-Blau gestimmt. Margeret Thatcher ist berühmt geworden mit dem Satz „The Lady‘s not for turning". Ich nehme für mich in Anspruch: "The Gentleman‘s not for turning". (Teresa Eder, Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 19.11.2009)