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Sylvia Grünbichler hat gemeinsam mit Barbara Andree die Studie "Gehörlose junge Frauen am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft" im Auftrag des Bundessozialamtes durchgeführt. Sie arbeitet am Institut für Translationswissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz.

Kontakt: sylvia.gruenbichler@uni-graz.at

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Helene Jarmer ist eine der wenigen 'Rolemodels' für gehörlose junge Frauen, meint Sylvia Grünbichler

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Das Institut für Translationswissenschaft (ITAT) der Karl-Franzensuniversität Graz hat eine aktuelle Studie zur Situation gehörloser junger Frauen am Arbeitsmarkt durchgeführt. Darüber, warum so viele Frauen gar nicht erwerbstätig oder als Hilfsarbeiterinnen tätig sind und welche Rolle die Bildung dabei spielt, sprach Sylvia Grünbichler von der AG Gebärdensprache mit Marietta Türk.

derStandard.at: Was war der Anstoß eine Studie zur Situation von gehörlosen jungen Frauen am Arbeitmarkt durchzuführen?

Grünbichler: Der Anstoß war die insgesamt problematische Situation gehörloser junger Frauen, die enorm von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Es gibt eine sehr niedrige Beschäftigungsquote. Nur 33 Prozent der Frauen innerhalb der Gruppe von Personen mit Hörbeeinträchtigungen sind erwerbstätig, jene der Männer bei rund 60 Prozent. Da zeigt sich ein geschlechtsspezifischer Unterschied.

Oft wird zwar dieser Zusammenhang zwischen Geschlecht und Behinderung thematisiert, allerdings läuft da unter Behinderung alles. Blinde Menschen haben aber andere Bedürfnisse als gehörlose. Deswegen auch die Studie, da muss man spezifisieren.

derStandard.at: Was steckt hinter der niedrigen Beschäftigungsquote?

Grünbichler: Das hat unterschiedliche Gründe: einer davon ist sicher, dass die Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich sicher noch verbesserungswürdig sind. Es gibt nach wie vor - gerade im institutionalisierten gehörlosen Bildungswesen veraltete Berufsbilder. Da hat sich in den letzten 30 Jahren - wenn man jetzt nur die Bereiche Mode, Bekleidung, Textil anschaut - nicht so viel verändert.

derStandard.at: Gibt es auch positive Vorbilder?

Grünbichler: Ja, schon. Auch neue Ausbildungen haben sich etabliert: in Linz gibt es die Schule für visuelle und alternative Kommunikation, dann das Kommunikations- und Bildungszentrum in Innsbruck für Gehörlose und das equalizent in Wien. Da hat sich schon etwas getan. Das Grundproblem in Österreich ist allerdings, dass wir in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Möglichkeiten haben. Das heißt, wenn ich als gehörlose Frau in der Steiermark lebe, habe ich weniger Möglichkeiten als in Wien.

derStandard.at: In welchen Bereichen arbeiten gehörlose Frauen, wenn sie erwerbstätig sind?

Grünbichler: Sehr viele Frauen sind als Hilfsarbeiterinnen tätig - das sagen die von uns für die Studie interviewten Personen, die in der Arbeitsmarktintegration mit gehörlosen Frauen arbeiten, aber auch quantitative Studien. Je geringer die Qualifikation desto problematischer die Berufsbilder. Oft ist es für die Frauen nur möglich in der Küche, Wäscherei oder Reinigung zu arbeiten.

Aber von den für unsere Studie befragten Frauen - sechs Frauen von 14 waren berufstätig - arbeiten schon auch manche im höher qualifizierten Bereich: Büro, Kinderbetreuung. Es gibt auch gehörlose Frauen, die selber im Bildungsbereich tätig sind, weil sich in den vergangenen Jahren einige Bildungsnagebote entwickelt haben. Aber das sind eben die Ausnahmen. Die Regel ist, dass gehörlose Frauen in der Regel prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben oder gar nicht erwerbstätig sind.

derStandard.at: Bekommen Gehörlose die falsche oder zuwenig Bildung?

Grünbichler: Das Bildungsproblem ist ein Grundproblem, das hinter dieser Misere steckt. Wir haben in Österreich keine geeignete Bildung für gehörlose Menschen. Gerade für sie ist es sehr wichtig, dass sie eine Grundbildung in Gebärdensprache erhalten. 

Studien belegen: wenn nur lautsprachlich unterrichtet wird, kommt es dazu, dass das Erlernen der Lautsprache im Vordergrund steht nicht der Lerninhalt. Die meisten haben dann relativ hohe Bildungsdefizite (Allgemeinwissen, Textkompetenz), wenn sie von der Schule abgehen. Das gilt auch für gehörlose Männer. Diese Menschen kommen dann so in Einrichtungen auf der Suche nach einer Lehrstelle.

derStandard.at: Wieviele gehörlose Menschen gibt es in Österreich?

Grünbichler: Dazu gibt es keine Vollerhebungen, die Zahlen werden oft hochgerechnet. Man nimmt an, dass es in Österreich 10.000 Gehörlose und 240.000 Menschen mit Hörbeeinträchtigungen gibt. Das sind aber alte Zahlen aus dem Jahr 1995. Schwerhörige Menschen haben bessere Bildungsniveaus und bessere Jobs, haben aber auch Probleme. Man müsste daher individuelle Ausbildungswege anbieten.

derStandard.at: Welche Möglichkeiten sehen Sie in der Integration und Beschäftigung von gehörlosen Menschen am ersten Arbeitsmarkt?

Grünbichler: Wichtig wäre ein gebärdensprachliches Arbeitsumfeld: Es ist ja eine natürliche Kompetenz von gehörlosen Frauen Gebärdensprache zu können. Gerade in pädagogischen Berufsfeldern oder im Gesundheitsbereich muss man andocken. Das ist eine große Kompetenz, die auch wirklich benötigt wird. Man vergeudet also ganz viel Kompetenz. Die Schule in Linz bildet in diese Richtung bedarfsorientiert aus.

derStandard.at: Könnten Rollenmodelle helfen, jungen gehörlosen Frauen Mut zu machen?

Grünbichler: Berufliche Vorbilder für gehörlose junge Frauen gibt es wenige. Im Moment fällt mir die Grüne Abgeordnete zum Nationalrat, Helene Jarmer, ein. Vermehrt gibt es aber schon auch gehörlose Frauen, die innerhalb von Gehörlosenorganisationen Funktionen haben, Obfrauen sind. Nach wie vor sind sie aber in der Gesellschaft unterrepräsentiert.

derStandard.at: In dem Forschungsbericht fällt auf, dass gehörlose Frauen ähnliche Probleme im Berufsleben haben wie andere Frauen - Stichwort Rückkehr in den Beruf nach der Karenz.

Grünbichler: Ja, aber noch verschärft. Die Frage ist, kann man sie zusammen mit Hörenden zusammen in eine Maßnahme für Wiedereinsteigerinnen geben. Es ist auch eine Frage des sprachlichen Angebots. Es sind eben zwei Variablen wirksam: das Geschlecht und die Gehörlosigkeit.

derStandard.at: Haben es gehörlose Männer leichter?

Grünbichler: Wir wissen aus den Erhebungen, dass sie öfter erwerbstätig sind, was aber nicht heißt, dass sie häufiger qualifiziert beschäftigt sind. Auch sie arbeiten oft als Hilfsarbeiter.

derStandard.at: Was würden Sie konkret verbessern wollen?

Grünbichler: Es braucht Konzepte, die gewährleisten, dass gehörlose Menschen eine adäquate Bildung bekommen. Das ist eine bildungspolitische Entscheidung. Dann braucht es viel mehr Vernetzung innerhalb der Bundesländer. Es gibt unterschiedliche Standards. Ein weiteres Problem: wenn Ausbildungen nicht in Gebärdensprache angeboten werden, sind sie für Gehörlose nur dann zugänglich, wenn sie ihre eigenen Dolmetscher stellen. Auch hoch qualifizierte Frauen haben Probleme, müssen ihr Studium abbrechen, weil sie keine Dolmetscherin mehr gezahlt bekommen. Der Zugang zu technischen und handwerklichen Berufen soll gefördert werden. Ebenso die Möglichkeiten zur Weiterbildung während der Karenz sowie Angebote Bildung nachzuholen. So könnten Grundqualifikation und Allgemeinbildung verbessert werden. Eine Reihe von Maßnahmen ist vonnöten - nicht eine, und alles wird gut. (derStandard.at)