Gaspipelines statt Infragestellung des westlichen Lebensstils: Ulrich Brand will die Klimawandel-Diskussion neu aufsetzen.

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Standard: Sie kritisieren, die derzeitigen internationalen Konzepte im Umgang mit dem Klimawandel, vor allem dem Kioto-Protokoll, taugen nichts?

Brand: Diese Konzepte sind sehr begrenzt und leisten nicht, was notwendig wäre: ein tiefgreifender Umbau der kapitalistisch-fossilistischen Produktions- und Lebensweise. Die internationale Politik ist technokratisch, zielt auf Minimalkonsens ab und ist vor allem zu sehr von oben konzipiert. Da wird so getan, als ob mittels internationaler Kooperation weitreichende Reduktionsziele umgesetzt werden könnten. Das stimmt nicht! Die EU erreicht die Kioto-Ziele vor allem, weil Osteuropa deindustrialisiert und Stahlwerke abgebaut wurden.

Standard: Was ist schlecht daran, dass es Vorgaben gibt, wie die Emissionen heruntergeschraubt werden?

Brand: Das sind wichtige Ansätze. Aber ich bleibe dabei, die Diskussion muss anders geführt werden. Was wir dringend brauchen, ist eine Infragestellung von dominanten Trends: etwa, ob Wettbewerbsfähigkeit wirklich das Wichtigste ist. Oder ob die fossile Energiebereitstellung mit all den geopolitischen Implikationen so wichtig bleiben muss. Die Nichtinfragestellung der dominanten Lebensweise bringt es mit sich, dass wir nie an den Kern des Problems kommen. Eine Transformation ist nicht absehbar, stattdessen werden Gaspipelines gebaut und alte Technologiepfade, etwa im Bereich der Automobilität, festgeschrieben. Die aktuelle Krise wird nicht zu einer grundlegenden Neuausrichtung genutzt.

Standard: Sie glauben also nicht, dass mit den bisherigen Methoden der Klimawandel eingedämmt werden kann?

Brand: Ein Beispiel aus dem Bereich der globalen Landwirtschaftspolitik: Der Agrarbereich wird vom Klimawandel sehr unterschiedlich betroffen, es trifft die verwundbaren Länder und Bevölkerungsschichten aber stärker. Die dominanten Vorschläge sind eine weitere Industrialisierung der Landwirtschaft, es wird eine neue "Grüne Revolution" gepredigt. Damit steigt in vielen Ländern des Südens die Macht der Agrarkonzerne. Die lokale Landwirtschaft wird an den Rand gedrängt. Wie in den 60er-Jahren wird so getan, als ob "one size fits it all" , als ob es eine Lösung für die Probleme gäbe.

Standard: Wie schätzen Sie die Chancen für die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen ein?

Brand: Die UN-Klimaorganisation UNFCCC wird fundamental scheitern, wenn diese grundlegenden Fragen nicht angesprochen werden. Fragen, die an unsere imperialen Lebensweise rühren, die wir nur auf Kosten von anderen aufrechterhalten können und trotzdem nicht über Bord werfen wollen. Die Klimapolitik basiert auf dem Kioto-Protokoll und hier unter anderem auf dem Emissionshandel, den es in der EU ja seit 2005 gibt. Das ist bisher wenig effektiv, sondern ermöglicht den Energieunternehmen Milliardengewinne. Man sieht die Macht der Energiefirmen, denn sie sorgen dafür, dass die Grenzwerte hoch und die Reduktionsziele leicht erfüllbar bleiben.

Standard: Das soll sich mit der nächsten Handelsperiode, wenn die Zertifikate versteigert werden, aufhören. Ihr Pessimismus in Ehren: Das Problem Ozonloch, verursacht von FCKW, wurde von der Weltgemeinschaft ja auch gelöst.

Brand: Der Unterschied zwischen heute und damals ist, dass es bei FCKW einen Ersatzstoff gab. Im Bereich der fossilen Energien aber ist nicht absehbar, wie nachhaltige Lösungen, nämlich erneuerbare Energieträger, durchgesetzt werden sollen. In Anlehnung zu "peak oil" wird schon von "peak soil" gesprochen. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.11.2009)