Die aus zwölf Monitoren bestehende Installation "Arbeiter verlassen die Fabrik" ermöglicht einen diachronischen Blick.

Foto: Farocki

Es war ein deprimierender Abend für Harun Farocki. Als 1993 sein Film Videogramme einer Revolution in zwei Berliner Kinos anlief, kam zu den beiden ersten Vorstellung jeweils nur ein Zuschauer. Dieses Erlebnis machte dem momentan an der Akademie der bildenden Künste in Wien lehrenden Filmemacher deutlich, dass für ihn das Kino "nicht einmal mehr ein Ort der symbolischen Präsenz war". Das schreibt er in seinem biografischen Essay Rote Berta geht ohne Liebe wandern, der aus Anlass einer aktuellen Überblicksausstellung seiner Werke im Kölner Museum Ludwig erstmals auf Deutsch erschienen ist.

Farocki hat also nicht das Museum gesucht, es waren mehrere Krisen und parallel dazu Angebote aus der Kunstwelt, die dazu führten, dass er seit Mitte der 1990er-Jahre zunehmend Installationen für die "white cubes" der Ausstellungshallen produzierte und nicht mehr Dokumentarfilme für die "black cubes" der Kinos.

Es gab natürlich auch ökonomische Gründe: Nicht nur das Kinopublikum blieb fern, auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen verzichtete auf seine Dienste. Farockis Filme mit ihren wissenschaftlich genauen Erkundungen des bewegten Bildes und ihrer klaren linken Haltung passten nicht mehr in die immer stärker formatierten Dokumentar-Sendeplätze.

Im Rückblick wirkt der halb erzwungene Wechsel in die Welt der Museen und Galerien, den Farocki 1995 mit seiner ersten Videoinstallation Schnittstelle vollzog, aber wie ein logischer Schritt. Im Ausstellungsraum mit mehreren Bildschirmen oder Parallelprojektionen arbeiten zu können, bot für seine analytische Herangehensweise an Themen und Bilder eine Fülle neuer Möglichkeiten.

Neben die normale Montage der Filmbilder tritt bei seinen Mehrkanalinstallationen die "Raum-Montage". In der Kölner Ausstellung lässt sich das etwa an der kurzen Zweikanalinstallation Zur Bauweise des Schnitts bei Griffith verfolgen. Hier zeigt er anhand von Szenen aus dem Werk des wegweisenden US-Regisseurs, wie sich die Filmsprache in der Stummfilmzeit entwickelte, indem er den "unsichtbaren" Schnitt in Griffiths Filmen wieder sichtbar macht.

Diachronischer Blick

Seine aus zwölf Monitoren bestehende Installation Arbeiter verlassen die Fabrik, die zum 100. Geburtstag des Kinos entstand, erlaubt anhand des immer gleichen Motivs einen diachronischen Blick durch die Filmgeschichte von Lumières gleichnamigem ersten Film bis zu Lars von Triers Dancer in the Dark. Auf einem Monitor verlässt Marilyn Monroe eine Fabrik, ein Ausschnitt aus Fritz Langs Clash by Night (1952), an dem intuitiv etwas nicht zu stimmen scheint.

Für Farocki erklärt er, warum die Fabrik in der Filmgeschichte nur eine Randerscheinung sein konnte: "Fabrikexistenz und Filmstarexistenz sind unvereinbar", schreibt er in einem Text zur Installation. "Sieht man einen Star in einer Fabrik, denkt man an ein Märchen, in dem die Prinzessin Arbeit verrichten muss, bevor sie ihre eigentliche Bestimmung erlangt."

Der analytische Blick des Berliners Farocki, Sohn eines indischen Arztes und einer deutschen Fremdsprachenkorrespondentin, macht selbst vor dem Allerheiligsten nicht Halt: Gott Fußball. Die zentrale Installation in Köln besteht aus zwölf Videos, die auf die Wände des größten Raumes der Ausstellung projiziert werden. In Deep Play untersucht Farocki das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft von 2006 und dessen Repräsentationen im Bild.

Eine Leinwand zeigt Computergrafiken der Ballbewegungen, an einer anderen kann man die Geschwindigkeiten jedes einzelnen Spielers ablesen, eine Kamera folgt nur dem französischen Mittelfeldspieler Patrick Vieira, eine andere dem italienischen Innenverteidiger Fabio Cannavaro.

Paradoxerweise zeigt die Installation in der Gesamtschau gerade die Ohnmacht der Analyse auf: So sehr man dem Spiel auch mit Grafiken, Zahlen und fachmännischen Kommentaren zu Leibe rückt, am Ende wird nur die Illusion einer Kontrolle erzeugt. Schon beim nächsten Spiel sind die Karten wieder neu gemischt und niemand kann vorhersagen, wie das Ergebnis lauten wird. (Sven von Reden aus Köln, DER STANDARD/Printausgabe, 30.11.2009)

Bis 7. März 2010