Elisabeth Sobotka: "Inszenierungen sind keine Glaubensfrage. Ein guter Regisseur verwendet alle Mittel, die das Theater bietet."

 

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Standard: Frau Sobotka, was war der Grund, dass Sie sich nach großen Städten wie Leipzig, Wien und Berlin entschlossen, nach Graz zu gehen, die Oper oder die Stadt?

Sobotka: Das Haus. Über die Stadt habe ich zunächst gar nicht nachgedacht. Das Ganze war sehr kurzfristig. Ich habe mich in allerletzter Minute beworben, und dann ist es irrsinnig schnell gegangen und - was ich immer wieder betone - unglaublich unpolitisch und professionell. Erst dann habe ich mir überlegt: Was bedeutet Graz? Ich habe unlängst mit Bürgermeister Siegfried Nagl ein Gespräch geführt, und er sagte: "Wissen Sie, dass Graz die Stadt mit den meisten Sonnenstunden ist?" Wenn man gerade aus Berlin kommt, ist auch die Größe perfekt. Es ist nicht zu groß, nicht zu klein, man kann alles relativ schnell erledigen, und es ist trotzdem unheimlich viel los. Es ist durch die vielen Studenten eine sehr junge Stadt. Und die Stadt ist nach außen geöffnet. Im Moment erscheint es mir wie das ideale Opernhaus in der idealen Stadt.

Standard: Wie sehen Sie Graz als Kulturstandort?

Sobotka: Es ist auch eine konservative Stadt, aber was es für diese Größe an Angebot gibt, ist unglaublich, und auch, wie viel die Menschen daran teilnehmen. Der Steirische Herbst ist in der ganzen Stadt präsent. Jeder weiß, dass er stattfindet. Ob er hingeht, ist etwas anderes, aber es wird zu einem Bestandteil der Stadt. Das ist ein bisschen wie die Oper in Wien. Gleichgültig, ob man hingeht oder nicht, ist die Oper in Wien unglaublich wichtig, weil sie in der Mitte liegt und etwas Repräsentatives hat. Das gilt in Graz ein bisschen für die gesamte Kultur. Sie ist für die Identität der Stadt und die Leute ganz wichtig, und das spürt man.

Standard: Gibt es dadurch auch mehr Offenheit für neue Ansätze als im traditionsverliebten Wien?

Sobotka: Da bin ich nicht sicher.

Standard: Sie lassen aber erstaunlich viele Regisseure zu, die als kontroversiell gelten.

Sobotka: Das stimmt, das hat aber in Graz schon vor mir stattgefunden. Gerhard Brunner hat Peter Konwitschny geholt, und auch Jörg Koßdorff hat diese Mischung versucht, und wir teilen unsere Liebe zu Konwitschny und Stefan Herheim. Diese Tradition ist in der Stadt bereits vorhanden, wobei ich aber trotzdem sagen muss, dass ich am Rand von The Sound of Music auch gefragt worden bin: "Warum ist nicht alles so schön?" Es ist ganz klar, dass das Publikum zum Teil schon noch Widerstände hat.

Standard: Wie versuchen Sie, diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu bedienen?

Sobotka: Das Theater, das ich als Stadttheater oder als Stadtoper sehe, ist ja ein Drei-Sparten-Haus, und da muss man alle Felder abdecken, die eine Stadt braucht. Musical ist heutzutage ein wichtiger Aspekt, auch wenn das nicht mein Hauptanliegen ist. Aber man kann Musicals finden, die durchaus Qualität haben. Das Problem für mich ist der Text, weil er auf Englisch oft viel witziger ist als auf Deutsch.

Natürlich habe ich speziell in Leipzig, wo ich einige Jahre mit Konwitschny zusammengearbeitet habe, und auch in Berlin andere Akzente in der Auseinandersetzung mit Stücken schätzen gelernt. Allerdings nicht immer das, was dabei herauskommt, das weiß man vorher ja oft noch gar nicht. Ich will auch keinen "Stil" engagieren, aber ich glaube und hoffe, Regisseure zu engagieren, die etwas erzählen oder etwas aufzeigen wollen, das nicht an der Oberfläche ist, die die Stücke irgendwie aus ihrer reinen Oberfläche herausholen.

Standard: Wie sehen Sie die Kontroversen um das sogenannte "Regietheater" ?

Sobotka: Ich habe letztens eine sehr interessante Diskussion mit einer Abonnentin gehabt, wieder einmal über die Aida von Konwitschny "mit diesem furchtbaren Triumphmarsch" . Und da habe ich sie gefragt, ob ihr eigentlich bewusst ist, was für eine Szene da gezeigt wird. Dass es nicht oder nicht nur darum geht, dass es pompöse Musik gibt und bunte Kostüme, sondern dass da ein Volk erniedrigt wird. Sie hat mich angeschaut und wirklich auf meine Frage hin begonnen zu überlegen. Ich glaube, der Ausdruck "Regietheater" hat uns ein bisschen in die Irre geführt. Es gibt jetzt die Box "Regietheater" und die Box "konservativ" , und das ist es ja nicht, sondern es gibt einen unglaublichen Reichtum. Wenn jemand wie Herheim beim Parsifal ganze Jahrhunderte durchläuft - ist das jetzt konservativ oder modern? Das kann man gar nicht mehr so sagen. Es ist auch klar, dass das nicht immer gelingt, aber es ist die Herausforderung, uns durch Regie die Stücke heute näherzubringen.

Standard: Ist es nicht so, dass viele schon eine ungewohnte Ausstattung erschreckt, obwohl ansonsten ganz traditionell inszeniert wird?

Sobotka: Das versuche ich auch immer zu sagen: Es geht nicht um Glaubensfragen und um Stilrichtung, weil ein guter Regisseur ohnehin alle Mittel verwendet, die das Theater bietet. Er macht dann auch Bühnenzauber mit Papierflammen aus dem Boden - wenn es gerade passt, wenn ihm das den notwendigen Effekt vermittelt. Eine Zeitlang wurde "Regietheater" mit "Dramaturgietheater" verwechselt. Die Sorge war, dass eine Idee über das Stück gestülpt wird und es so zurechtgebügelt wird. Und das vermischt sich zu einer Diskussion, die meiner Meinung nach total fruchtlos wird. Es geht nicht darum, welchen Stil man machen darf und welchen nicht, sondern einfach um gutes Theater. (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe 15.12.2009)