Es klingt normal, wenn sich in einem Land, in dem seit der Rückkehr zur Demokratie vor zwanzig Jahren ein- und dieselbe Parteienkoalition regiert, ein Machtwechsel abzeichnet. Doch Chile, wo am Sonntag der rechte Kandidat Sebastián Piñera mit 44 Prozent Erster wurde, hat die 16 Jahre davor, in denen die Diktatur Augusto Pinochets die Menschenrechte mit Füßen trat, noch nicht verarbeitet. Und die politische Rechte hat noch kein "mea culpa" hören lassen. Der Polit-Milliardär Piñera sagt, er habe im Referendum von 1988 gegen Pinochet und für die Demokratie gestimmt. Seine Kandidatur unterstützt jetzt aber auch jene Rechtspartei, die einst der zivile Arm des Putschgenerals war.

Die (noch) regierende Mitte-links-Koalition hat auch selbst Schuld, dass sie als Ersatz für die aus dem Amt scheidende populäre Präsidentin, die Sozialdemokratin Michelle Bachelet, nur den Christdemokraten Eduardo Frei fand, der von 1994 bis 2000 schon einmal wenig beliebter Präsident war und nun auf 30 Prozent kam, während zwei Linke 20 bzw. sechs Prozent schafften. Wenn die Wähler aller "progressiven" Kandidaten im zweiten Wahlgang im Jänner für Frei stimmten, könnte er mit 56 Prozent doch noch siegen.

Internet-Blogger rufen bereits Frankreichs Präsidentschaftswahlen 2002 in Erinnerung, als die Linkswähler zähneknirschend und geschlossen für den Konservativen Jacques Chirac stimmten, um Rechtsaußen Le Pen zu verhindern. In Chile könnt es anders laufen, sagt doch der Drittplatzierte, der unabhängige Linke Marco Enríquez-Ominami, er kenne zwischen Frei und Piñera keinen Unterschied. (Erhard Stackl, DER STANDARD, Printausgabe 15.12.2009)