Kampagnen-Sprecher Peter Androsch (rechts im Bild) übergibt den "Zwangsbeschaller 2009", ein von einem Nagel durchbohrtes Ohr.

Foto: derStandard.at/Gedlicka

Wien - Es ist zwar nicht die derzeit schwer vermeidbare Weihnachtsmusik, dafür ist die Sound-Kulisse noch vor dem Eintreten in die Filiale des Tally-Weijl-Shops auf der Mariahilfer Straße zu hören. Begleitet von einem TV-Team betreten die Vertreter der Kampagne "Beschallungsfrei - Gegen Zwangsbeschallung" den Mode-Shop und überreichen eine ungewöhnliche Trophäe: ein von einem Nagel durchbohrtes Ohr. "Bei einem Testkauf haben wir hier Schallpegelwerte zwischen knapp 73 Dezibel minimal und bis zu über 78 Dezibel gemessen", begründet Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft für Privatangestellte Druck-Journalismus-Papier (GPA-djp), die Entscheidung. In 49 Geschäften in Wien wurde die Lautstärke gemessen, bundesweit waren es rund 300 Filialen.

Nicht nachvollziehbar ist die "Auszeichnung" für Filialleiterin Veronika Wagner: "Es kommen vor allem junge Leute ins Geschäft, die Musik gehört zum Einkaufs-Feeling ganz einfach dazu." Wenn die Beschallung den anderen Angestellten zu laut ist, würde sie diese aber jederzeit leiser drehen, betont sie. Eine Verkäuferin assistiert: "Von mir aus könnte die Musik ruhig noch lauter sein."

Akustik zu politischem Thema machen

"Es geht uns darum, Akustik zu einem politischen Thema zu machen, wir wollen eine bewusste Diskussion akustischer Agenden innerhalb der Arbeitswelt", so Peter Androsch, musikalischer Leiter von Linz09 und Kampagnen-Sprecher von "Beschallungsfrei", gegenüber derStandard.at. Gestartet wurde die gemeinsam von Linz09, ÖGB, GPA-djp und der Katholischen Kirche Oberösterreichs getragene Kampagne bereits im Herbst 2008. Im Dezember des Vorjahres wurde die Filiale Linz Landstraße der Modekette Pimkie für "ihre überlaute Verkaufsflächenbeschallung" als "Zwangsbeschaller 2008" auserkoren.

Es sei medizinisch erwiesen, dass ein Drittel der Herzkreislaufkrankheiten auf akustischen Stress zurückgeht, so Androsch. 125 von 500 Millionen EU-Bürgern seien hörbehindert und Zwangsbeschallung damit ein "Massenthema". Eine ästhetische Diskussion über die Musik in Geschäften hält Androsch, der als Komponist in Linz lebt, für wenig zielführend. Im Vordergrund steht der Schutz der betroffenen Arbeitnehmer.

"Schwere psychische Belastung"

Die Kampagne setzt sich prinzipiell "für mehr beschallungsfreie Räume in der öffentlichen Sphäre ein und wendet sich gegen den gezielten Missbrauch der Ohren durch Hintergrundmusik - einer Zwangsbeschallung wie von Supermärkten über das Fitnessstudio bis zur Toilette gang und gäbe geworden ist, und die für viele ArbeitnehmerInnen eine schwere psychische Belastung ist".

Lanciert wurde "Beschallungsfrei" im Rahmen des Linz09-Vorhabens "Hörstadt", einer Initiative für "eine bewusste und menschenwürdige Gestaltung unserer hörbaren Umwelt". Neben dem jährlichen Negativ-Preis "Zwangsbeschaller" und einer "Roten Karte" für den Stopp von musikalischer Dauerberieselung geht es der Kampagne aber vor allem um positive Akzente: Mit einem Aufkleber signalisieren Geschäfte, dass sie beschallungsfrei sind. Über 2.000 solcher Hinweise finden sich in Österreich bereits. Im kommenden Jahr wird die Initiative von der Akustikon Gesellschaft des Hörens fortgesetzt. (Karl Gedlicka, derStandard.at, 18. Dezember 2009)