Im Demel mit Attila Dogudan. Der Spitzen-Caterer ist in Wien und in Istanbul aufgewachsen. Für ihn ist die türkische Millionenstadt auf dem gleichen Level wie London und New York.

Foto: Andy Urban/Der Standard

Standard: Bei "Wien wörtlich" darf sich jeder Interviewpartner den Ort aussuchen, den er für besonders "wienerisch" hält. Ist das der "Demel" für Sie?

Dogudan: Ohne Zweifel. Es gibt drei Wiener Originale: den Würstelstand, das Wirtshaus und das Kaffeehaus. Da ist der Demel ein Ort der Tradition schlechthin.

Standard: Ist das hier nicht eher ein Museum für "Sissi"-affine Touristen?

Dogudan: Nein. Es kommen viele Touristen, weil sie den Demel für die Inkarnation des Kaffeehauses halten - wir sehen das in Salzburg, aber auch in New York. Auch dort gehen die Enkelkinder mit ihren österreichischstämmigen Großeltern hin, weil das für sie ein Stück altes Wien ist: Kaffeehauskultur und Mythos in den Köpfen der Menschen, ein Stück Identität.

Standard: Apropos Identität: Was würden Sie an sich selbst als "wienerisch" bezeichnen?

Dogudan: Die Melange in mir. Ich finde es immer sehr originell, dass ich hier als zugereister Türke gesehen werde. Genauso gut könnte man mich in der Türkei als zugereist ansehen. Ich bin gleichzeitig in Wien und in Istanbul aufgewachsen. Beide Städte sind mein Zuhause gewesen.

Standard: Halten Sie die Türkei für EU-beitrittsreif?

Dogudan: Das muss im Beitrittsprozess geprüft werden: Wenn die Türkei die Kriterien erfüllt, dann soll sie auch beitreten. Es sei denn, es geht um etwas anderes, zum Beispiel um Religion. Wenn man in der EU der Meinung ist, dass der Islam keine europäische Religion ist und hier nichts verloren hat, dann soll man es auch offen sagen. In dieser Frage wird viel die Unwahrheit gesagt, Menschen werden auseinanderdividiert. Und das in einer Zeit, wo es wichtig wäre, zusammenzurücken.

Standard: Was halten Sie von der umstrittenen Abstimmung über das Bauverbot von Minaretten in der Schweiz?

Dogudan: Als ob solche Polemik etwas lösen könnte. Sie ist ja auch dumm: Die Türkei ist ein höchst dynamischer Markt mit 70 Millionen Menschen, ein kultureller und wirtschaftlicher Austausch ist viel wichtiger als die Frage, ob ein Minarett mehr oder weniger gebaut wird. Ich halte dieses Referendum schlicht und einfach für bescheuert. Politiker, die nur Ressentiments schüren, sind gewissenlos. Mich stört allgemein, dass Politiker hierzulande immer in Verteidigungshaltung sind, statt Chancen zu sehen. Es geht ja nicht nur um die Türkei, sondern auch um andere Länder dieser rasch wachsenden Regionen. Dort entwickelt sich alles dreimal so schnell wie bei uns. Es ginge also darum, die Zukunft zu gestalten, statt die Vergangenheit zu verteidigen. Politiker denken immer nur bis zur nächsten Wahl. Überhaupt geht mir diese Besitzstandswahrungs-Mentalität, dieses Denken in Kammer- und Gewerkschaftslogik, gegen den Strich. Ich fürchte, dass auch Österreichs Politiker schon viele Möglichkeiten und Gelegenheiten verpasst haben, die zum Wohle der Bevölkerung gewesen wären.

Standard: Ihre Abneigung gegen Gewerkschaften ist bekannt. Sie haben nie einen Betriebsrat in Ihren Unternehmen akzeptiert. Oder gibt's mittlerweile einen?

Dogudan: Ich akzeptiere aber die Meinungen meiner Mitarbeiter, das ist der feine Unterschied. Außerdem ist ja nicht die Frage, ob ich einen Betriebsrat will, sondern ob meine Mitarbeiter einen wählen - warum sie das nicht tun, wird Gründe haben. Ich bemühe mich wirklich, dass meine Mitarbeiter zufrieden sind. Anders würde ein Dienstleistungsbetrieb gar nicht funktionieren - ich habe ja keine Maschinen, sondern Menschen, die nur dann mit mir an einem Strang ziehen, wenn die Stimmung gut ist.

Standard: Sie gelten als "Qualitätsfreak" - was ist Ihnen wichtig bei der Auswahl Ihrer Mitarbeiter?

Dogudan: Qualität ist eine Frage der Haltung und des persönlichen Anstandes. Mir ist wichtig, dass jemand bei allem, was er tut, auf Qualität Wert legt - dass es eine Lebensmaxime ist. Wenn sich also jemand bei uns vorstellt, schauen wir zunächst einmal auf das, was die Engländer "attitude" nennen - und erst in zweiter Linie auf den Lebenslauf. Das beste Zeugnis der Welt bringt nichts, wenn es an persönlicher Haltung fehlt.

Standard: Finden Sie das auch bei jungen Jobbewerbern in Österreich? Stimmen Haltung und Ausbildung?

Dogudan: Grundsätzlich gibt es hier ein großes Potenzial. Aber in den letzten Jahren ist mir eine Haltung aufgefallen, die mir nicht sehr gefällt: Es gibt unter den Jungen sehr viele "High-Flyer". Der Wahnsinn, der bei der Internetblase begonnen hat, hat auf die Seelen vieler junger Leute Auswirkungen gehabt. Viele meinten noch bis vor kurzem, dass alles, was nicht mindestens 20 bis 30 Prozent Gewinn bringt, kein gutes Geschäft ist, und hat die nicht interessiert. So etwas kann aber kein normaler Mensch mit Arbeit verdienen, und das war angesichts des Börsenfiebers den Jungen schwer zu erklären. Da hatte ich auch durchaus heftige Diskussionen mit meinen Söhnen. Ich hoffe aber, dass die momentane Wirtschaftskrise, die sich sicher noch 2010 fortsetzen wird, die Menschen wieder auf den Boden zurückholt.

Standard: Eine Studie im Auftrag des Innenministeriums, die kürzlich präsentiert wurde, besagt, dass vor allem türkische Jugendliche - und hier insbesondere Burschen - weniger integrationswillig seien als andere Migrantengruppen. Beobachten Sie das auch?

Dogudan: Das kann ich nicht beurteilen - aber wenn das die Wissenschaft so erhoben hat, wird das wohl so stimmen.

Standard: Was könnte der Grund sein? Etwa die Religion?

Dogudan: Man hat vor vierzig Jahren sehr viele Menschen ins Land geholt, vor allem aus der Türkei, weil man Arbeitskräfte brauchte. Man hat aber ignoriert, dass man für diese Menschen auch eine soziale Verantwortung hat und auch Integrationsleistung von ihnen verlangen muss. Ich glaube, dass beide Seiten hier gleich viel Schuld tragen: Jene, die sich nicht gekümmert haben um die Neuankömmlinge, und jene, die sich nicht integriert haben. Noch ärger wird es in der zweiten und dritten Migrantengeneration. Da gibt es gar nicht wenige Menschen, die sich weder in Österreich noch in der Türkei zu Hause fühlen. Das Religionsbekenntnis an sich ist nicht das Problem - erst dann, wenn es von Interessengruppen instrumentalisiert wird. Das geht natürlich umso leichter, je ausgegrenzter sich Menschen fühlen.

Standard: Was kann man dann jetzt noch tun?

Dogudan: Bildung, Bildung, Bildung. Etwas anderes funktioniert nicht. Da muss man radikal umdenken, um alle ins Boot zu holen. Das sind ja junge Menschen, auf deren Potenzial können wir doch nicht verzichten. Ansonsten wird sich das Klima weiter polarisieren, und das birgt Gefahr. Politische Polemik und "Ausländer raus"-Sprüche helfen jedenfalls sicher nicht dagegen.

Standard: Laut einer OECD-Studie vom Oktober dieses Jahres haben Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich und in Deutschland geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als "Inländer" - selbst bei gleicher oder sogar höherer Qualifikation. Bildung allein nützt also offensichtlich auch nichts?

Dogudan: Weil diese Gruppe ein Imageproblem hat - sie wird immer an ihren negativen Exponenten gemessen. Dabei gäbe es viele positive Beispiele: Hunderte, die es, wie ich, "geschafft" haben in diesem Land. Obwohl es bei mir egal ist: Wäre mein Vater aus Gramatneusiedl gekommen, hätte ich dasselbe gemacht.

Standard: Im öffentlichen Bewusstsein gibt es dennoch nur wenige türkische Role-Models.

Dogudan: Man muss halt auch hinschauen wollen. Es gibt hunderte erfolgreiche Türken, tolle Fachärzte, Architekten, was auch immer. Und es gibt viele, die hier gelebt und studiert haben und mit ihrem Wissen dann in die Türkei zurückgegangen sind und nun wesentlich zur Veränderung dieses Landes beitragen. Darauf könnte man als Österreicher ausnahmsweise ja auch mal stolz sein. Ich kann jeden nur einladen, einmal nach Istanbul zu fahren und sich diese Stadt anzuschauen. Istanbul ist auf dem gleichen Level wie New York oder London. Es gibt eine topp ausgebildete Elite von drei bis vier Millionen Menschen, die mehr als der EU-Schnitt verdienen. Das sind fast doppelt so viele Menschen wie in Wien leben. Damit muss man sich auseinandersetzen. Ausgrenzen und nichts davon wissen wollen ist sicherlich die blödeste Variante.

Standard: Sie gelten laut "Kopf des Tages" im Standard als "Cartier der Caterer", behaupten aber, Sie hätten keinen blassen Dunst vom Kochen. Gibt es etwas, das Sie gut kochen können?

Dogudan: Ich kann aus allem etwas machen, was Ihnen in der Regel halbwegs schmecken wird - ich kann Ihnen ein Steak abbraten, wie es sich gehört, einen Lachs korrekt schneiden - aber ich arbeite mit dem Hausverstand eines Autodidakten, ich habe keine Ahnung von Kochprozessen und auch nicht die Starallüren eines Kochkünstlers. Vielleicht funktionieren wir deshalb so gut. (Petra Stuiber, DER STANDARD Printausgabe, 19./20.12.2009)