Wiener Forscherinnen fanden bei Aaskrähen zwei genetisch stark differenzierte Gruppen. Mit der Gefiederfarbe hat das aber nichts zu tun.

Foto: Dvorak / BirdLife Österreich

Die Antwort könnte in der genetischen Aufspaltung liegen.

Es ist ein vogelkundliches Rätsel: Unter dem Begriff "Aaskrähe" werden hierzulande zwei äußerlich sehr unterschiedliche Krähen zusammengefasst, die in wesentlichen Aspekten jedoch zusammengehören. Im Westen des Bundesgebietes kommt die Art nur als rein schwarze Rabenkrähe vor, die sich von der Saatkrähe nur dadurch unterscheidet, dass sie keinen nackten Schnabelansatz hat. Junge Saatkrähen, die eine befiederte Schnabelbasis wie Aaskrähen aufweisen, machen die Unterscheidung noch schwerer. Im Osten tritt die Aaskrähe als Nebelkrähe auf, die sich durch einen grauen Rücken und Bauch ausweist. Würde es sich bei den beiden Ausprägungen um eigenständige Arten handeln, könnten sie keine fortpflanzungsfähigen Jungen miteinander haben. Durch Wien jedoch verläuft ein rund 30 bis 50 Kilometer breiter, von der Ostsee bis zum Mittelmeer verlaufender Hybridgürtel, in dem sich die beiden Typen problemlos paaren. Die daraus entstehenden Mischlinge können alle Varianten grau-schwarzen Gefieders haben und sich mit Aaskrähen jeder Couleur fortpflanzen.

Unter diesen Umständen wäre zu erwarten, dass sich im Lauf der Zeit die Mischformen in ganz Österreich ausbreiten. Tatsächlich jedoch ist die Hybridzone, die 1928 das erste Mal kartografisch dargestellt wurde, sehr stabil: Die Hybriden verbreiten sich kaum. Warum das so ist, darüber grübeln Vogelkundler seit Jahrzehnten.

Stark differenzierte Gruppen

Anita Gamauf und Elisabeth Haring vom Naturhistorischen Museum Wien befassen sich mit den genetischen Verhältnissen aller in Eurasien verbreiteten Krähenvögel. Dabei brachten sie Erstaunliches zutage. Sie fanden nämlich innerhalb der Aaskrähe zwei genetisch stark differenzierte Gruppen – allerdings: Mit der Gefiederfärbung haben diese nichts zu tun. Vielmehr enthält die eine Gruppe Nebel- und Rabenkrähen aus einem riesigen Areal, nämlich von England bis in den Osten Russlands, wohingegen die zweite Gruppe nur Vögel aus einem vergleichsweise sehr kleinen Gebiet in Japan und im chinesisch-russischen Grenzgebiet umfasst.

Auch bei Saatkrähen fanden Gamauf und Haring eine genetische Trennung in einen östlichen und einen westlichen Typ, die in Zentralrussland aufeinanderstoßen. Eine ganz ähnliche Aufteilung in zwei Genotypen weisen auch die ebenfalls zu den Krähenvögeln gehörigen Elstern, Dohlen und Blauelstern auf. Bei allen fünf Arten dürfte sich die genetische Aufspaltung zeitgleich vor circa zwei Millionen Jahren abgespielt haben.

"Alle fünf sind Offenlandbewohner, die im Zuge der Eiszeiten oft nur in isolierten Beckenlandschaften am südlichen Rand ihres Verbreitungsgebietes überleben konnten" , erklärt Gamauf. "Von dort haben sie sich in den folgenden Warmzeiten wieder ausgebreitet, sich in der Zwischenzeit durch die räumliche Trennung aber genetisch voneinander entfernt." Keine derartige Entwicklung konnte man bei waldbewohnenden Krähenvögeln wie Kolkrabe, Tannenhäher und Unglückshäher feststellen.

Inwieweit die beiden genetischen Linien der anderen fünf Krähenvögel noch kreuzungsfähig oder bereits dabei sind, eigenständige Arten zu werden, soll in Zukunft untersucht werden. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 30.12.2009)