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Dass die Politik wieder auf Ratingagenturen hört, sei lächerlich, findet Uno-Ökonom Flassbeck.

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STANDARD: Griechenland vor der Pleite, Dubai am Kollabieren: Die Überschuldung von Staaten wird laut Ratingagenturen 2010 das zentrale Thema werden. Sind die Sorgen berechtigt?

Flassbeck: Die Sorgen gehen um, aber ob das objektiv gerechtfertigt ist, ist eine ganz andere Frage. Ich glaube, da wird ziemlich viel durcheinandergebracht. Im europäischen Raum gab es natürlich einen Anstieg der Staatsdefizite, aber das wird bei einigen Ländern wie im Falle Griechenlands mit ganz anderen Problemen vermischt. Griechenland hat ein gewaltiges Leistungsbilanzdefizit, und dieses Problem der griechischen Außenwirtschaft ist viel wichtiger als das Staatsschuldenproblem. Und außerdem überschreitet die Eilfertigkeit, mit der die Politik in ihrer Einschätzung wieder den Ratingagenturen folgt, die Grenze der Lächerlichkeit.

STANDARD: Kritik an Griechenland kommt aber nicht nur von Ratingagenturen, sondern auch von der EU. Die griechischen Turbulenzen treffen ja den gesamten Euroraum.

Flassbeck: Zunächst muss Europa zur Kenntnis nehmen, dass Griechenland nicht das einzige Problem ist. Nur weil sie in Schwierigkeiten sind, heißt das nicht, dass sie diese allein zu verantworten haben. Würden wir uns nämlich die ganze Eurozone ansehen, würden wir feststellen, dass es innerhalb der Währungsunion ein gewaltiges außenwirtschaftliches Ungleichgewicht gibt. Dafür ist zu einem wesentlichen Teil Deutschland verantwortlich, weil es Lohndumping betrieben hat.

STANDARD: Inwieweit?

Flassbeck: In Deutschland sind die Lohnstückkosten weit langsamer als in den anderen Ländern der Eurozone gestiegen. Lohnstückkosten sind aber die entscheidende Determinante der Wettbewerbsfähigkeit und der Preise in einer Währungsunion. Es gibt eine klare Linie, wie sich die Lohnstückkosten in der EU entwickeln sollen, nämlich gemäß dem Inflationsziel sollten sie jährlich um zwei Prozent steigen, das bedeutet 22 Prozent in zehn Jahren (mit Zinseszinsen, Anm.). Wenn man nun nachmisst, sieht man, dass die Lohnstückkosten in Griechenland in den zehn Jahren um 28 Prozent gestiegen sind, in Deutschland waren es acht Prozent. Wer hat stärker gegen die Regeln der Währungsunion verstoßen: Griechenland oder Deutschland? Die Antwort ist eindeutig. Es gibt in der Eurozone viele Länder, die mit der Entlohnung überzogen haben. Es gibt aber auch ein Land, das gewaltig unterzogen und unter seinen Verhältnissen gelebt hat.

STANDARD: Und wie sehen Sie die Probleme Dubais?

Flassbeck: Jeder, der schon mal dort war, konnte sehen, dass es einen überschäumenden Immobilienboom gab. Es sind immer die gleichen Prozesse, die auf den Finanzmärkten ablaufen: Es gibt viele Akteure, die da in einen Hype verfallen und damit die Preisrelationen herstellen, die sie brauchen, um sich Gewinne vorzuspielen. Wenn klar wird, dass diese Preise nicht dauerhaft erzielbar sind, kracht es. Das ist in Dubai genauso wie in allen anderen Fällen. Das Außergewöhnliche daran ist nur, dass die Politik nichts dagegen tut. Die Politik nimmt das einfach hin, sie hat bisher fast nichts getan.

STANDARD: Was hätte sie tun sollen?

Flassbeck: Was wir derzeit an den Rohstoffmärkten sehen, ist ein Skandal ohnegleichen. Die Preise werden dort von reiner Finanzspekulation massiv nach oben getrieben, es entsteht eine gewaltige Verzerrung der Marktpreise auf der ganzen Welt, und alle marktwirtschaftlichen Politiker schweigen dazu.

STANDARD: Aber dass Rohstoffpreise angezogen haben, lag nicht nur an Spekulationen. Für den hohen Reispreis werden etwa schlechte Ernten in Indien verantwortlich gemacht.

Flassbeck: Irgendwelche realen Gründe werden immer vorgeschoben. Aber wir haben in den vergangenen Monaten und auch schon vor der Krise zeigen können, dass die Preise für ganz viele Rohstoffe, und auch Lebensmittel wie Reis oder Soja, durch reine Spekulation nach oben getrieben werden. Ein Blick auf den Ölmarkt reicht: Die Welt schwimmt in Öl, und der Preis ist dennoch das ganze Jahr über gestiegen. Das hat nichts mit Nachfrage oder Produktion zu tun. Das steht nur jeden Tag in den Zeitungen. (András Szigetvari, DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2010)