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Nicolas Sarkozy deutet gern auf die Bedeutung der Grande Nation und will sich neuerdings von Literatenruhm bescheinen lassen

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Ein französischer Präsident, der etwas auf sich hält, hat mindestens eine Amtspflicht: Er muss während seiner Regentschaft die sterbliche Hülle eines illustren Franzosen in das nationale Heldenmausoleum, das Pantheon in Paris, überführen lassen. Vor dem Kuppelbau über dem Quartier Latin, wo seit der Revolution von 1789 Namen wie Voltaire, Rousseau und Zola auf mächtigen Steinsärgen prangen, ist schließlich auch die Devise eingemeißelt: "Aux Grands Hommes, la Patrie reconnaissante" - das Vaterland dankt den Großen Männern.

Ein Staatschef vollzieht zudem mit der Ehrung auch ein subtiles Bekenntnis seines politischen und persönlichen Temperamentes. Charles de Gaulle überführte etwa die Relikte des Widerstandskämpfers Jean Moulin ins Pantheon, François Mitterrand den Europapolitiker Jean Monnet oder Jacques Chirac den Romancier Alexandre Dumas.

Nicht nur subtil, sondern geradezu diffizil wird es, wenn der Staatschef mit der hohen Kultur seines Landes auf Kriegsfuß steht. Das ist der Fall von Nicolas Sarkozy, der schon erklärte, man müsse "Masochist oder verrückt" sein, um nationale Literaturklassiker zu mögen. Seit dem dadurch ausgelösten Entrüstungssturm schleppt ihn seine kunstbeflissene Gattin Carla Bruni gut sichtbar in Ausstellungen und Theatervorführungen. So viel Kulturgenuss musste Folgen haben: Im November überraschte Sarkozy mit dem Vorschlag, einen der bedeutendsten Autoren Frankreichs, Albert Camus, ins Pantheon zu überführen. Zur Begründung meinte der Präsident, das wäre ein "außerordentliches Symbol".

Nur wofür? Zumindest für die politische Vereinnahmung eines kompromisslosen Freidenkers, schimpft der wichtigste Camus-Biograf Olivier Todd. "Das gehört zu Sarkozys Technik, das intellektuelle Milieu in den Sack zu stecken. Es widerspricht allem, wofür Camus steht." Auch Camus' Sohn Jean wehrt sich vehement gegen Sarkozys Pantheon-Idee.

Im Internet klang es gestern zum 50. Todestag und den zahllosen Bucherscheinungen, Medienberichten und Rückblenden ganz ähnlich: "Camus war ein Ehrenmann, das pure Gegenteil eines eitlen Ruhmsüchtigen, der Auszeichnungen nachrennt", entrüstete sich ein Anhänger des algerischstämmigen Schriftstellers, der sich mit Werken wie "Der Fremde" oder "Die Pest" in die Weltliteratur einschrieb, bevor er am 4. Jänner 1960 bei einem Autounfall 46-jährig ums Leben kam.

Camus ruht seither im Provence-Dörfchen Lourmarin neben seiner Frau auf einem stillen Friedhof, wie er es sich gewünscht hatte. Und dabei soll es auch bleiben, hieß es in den Pariser Medien: "Der Mensch in der Revolte" - wie das Hauptwerk Camus' heißt - "scheute den Pariser Staatspomp Zeit seines Lebens."

Politiker von rechts bis links meinen, Sarkozy wolle mit dem Moralisten Camus seine zynisch-populistische Debatte über die "nationale Identität" retten; auch wolle er vor der Regionalwahlen im März die Pieds-Noirs (zurückgekehrte Algerienfranzosen) in sein Lager holen. Noch ist der Entscheid über den "Aschentransfer" von Lourmarin nach Paris offen. Den Ausschlag dürfte Camus' Tochter Catherine geben, die das väterliche Werk verwaltet. Sarkozy lud sie unlängst ins Elysée zum Mittagessen ein. Doch am Montag äußerte sie anhaltende Zweifel am Sinn einer Pantheonisierung. (Stefan Brändle aus Paris /DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.1.2010)