Der ungarische Schriftsteller und Nobelpreisträger Imre Kertész, der Auschwitz und Buchenwald überlebt hatte, meinte jüngst in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstags (Standard, 14. 11. 2009), Paul Celans Todesfuge sei eines der wenigen Werke über den Holocaust, das er gelten lassen könne.

Während man Paul Celan nicht vorstellen muss, ist Klaus Demus als Dichter nur wenigen bekannt. Sogar in Wien, wo der heute Zweiundachtzigjährige seit Jahrzehnten arbeitet und lebt, ist er ein großer Unbekannter. Hier traf er als Zwanzigjähriger zweimal mit Paul Celan - geboren als Paul Antschel (rumänisiert Ancel) in Czernowitz - zusammen. Die erste Begegnung initiierte Ingeborg Bachmann, die Freundin von Anna Maier, Klaus Demus‘ spätere Frau, bevor Celan im Sommer 1948 nach Paris abreiste. Der Verlust, den er erlitten hatte (sein Vater starb in Transnistrien an Typhus, und seine Mutter wurde erschossen), wurde in den Briefen nicht thematisiert; genauso wenig wie der Holocaust.

Celan spricht davon in seiner Lyrik und setzt seiner Mutter in Gedichten wie Espenbaum ein Denkmal. Die Welt des jungen Kunstgeschichtestudenten Klaus Demus war eine andere, war die der Kunst (auch sein Vater, Otto Demus, war Kunsthistoriker, der als Byzantinist Maßstäbe gesetzt hat) und der Dichtung eines Goethe, Hölderlin, Hofmannsthal und Rilke. In den Monaten nach der Abreise Celans entwickelte sich ein Briefwechsel zwischen den beiden von ihrer Herkunft so unterschiedlichen Männern, von einer Intensität und Frequenz, die ihresgleichen sucht. Klaus Demus verehrte den um sieben Jahre älteren Dichter und stand ihm in allen schwierigen Situationen mit Rat und Tat zur Seite.

Dass eine Freundschaft zwischen Männern solch einfühlsame und zugleich sprachlich dermaßen elaborierte Briefe hervorbringt, oder überhaupt, dass ein Dichter, der den anderen, älteren und erfolgreicheren auch als Rivalen hätte sehen können, zu solcher Hingabe fähig ist, darf als große Ausnahme in der Schriftstellerkorrespondenz des 20. Jahrhunderts gesehen und gewürdigt werden.

Für Klaus Demus war Paul Celans Werk in diesen Jahren schlicht und einfach das Maß für zeitgenössische Dichtung; und um diese dreht sich auch vorwiegend ihre Korrespondenz in den ersten Jahren. In den 50er-Jahren kommt es immer wieder auch zu brieflich vereinbarten Begegnungen in verschiedenen deutschen Städten sowie zu gegenseitigen Besuchen in Wien und Paris. Auch die Frauen der beiden nehmen Anteil an dieser Freundschaft, nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass sie sich sympathisch finden und Nani mit Gisèle Celan-Lestrange gerne auf Französisch korrespondiert (auch dieser Briefwechsel ist - im Original und in Übersetzungen - dem Band als schlüssige Ergänzung beigefügt).

Als die Witwe des Dichters Yvan Goll, Claire Goll, ab 1953 Plagiatsvorwürfe gegen Paul Celan in die Welt setzt und diese umtriebig und böswillig (weil gegen ihr eigenes besseres Wissen) publizistisch ausweitet (und damit partiell Gehör findet bei Redakteuren und Verlegern), hält Klaus Demus eisern zu seinem Freund.

Er formuliert eine "Entgegnung" , die nach mehrfachen Abänderungen und vielem Hin und Her - auch zwischen Paul Celan und dem Verfasser -, von Ingeborg Bachmann und Marie Luise Kaschnitz mitunterzeichnet, in der Zeitschrift Neue Rundschau 1960 doch noch erscheint.

Paul Celan bezeichnet Klaus Demus mehrmals als den einzigen Freund, er bittet ihn auch immer wieder, seine Gedichte kritisch zu lesen und seine Übersetzungen zu prüfen. Hier nur ein Beispiel: Als er die Übersetzung von Paul Valérys Die junge Parze abgeschlossen hat, schreibt er im Begleitbrief: "Klaus, lies bitte kritisch und aufmerksam, Du bist der einzige, der mir helfen kann!" Doch das Misstrauen Celans gegen die Kollegenschaft und den Literaturbetrieb, genährt auch durch verdeckte und offene antisemitische Reaktionen auf seine Gedichtbände, ist nach der jahrelangen Kampagne Claire Golls übermächtig geworden und vergiftet auch die Beziehung zu seinem Freund in Wien.

Ganz verloren

Vom November 1961 bis zum Dezember 1968 antwortet Celan auf keinen Brief mehr von Demus, nachdem dieser in einem Brief seinen Verdacht auf psychische Probleme ausspricht. Demus schreibt in der Folge ins Leere, er kann nicht helfen, muss zusehen, wie sich sein Freund in Paris verschließt. Wie man weiß, versuchte Celan am 24. November 1965 seine Frau mit einem Messer zu töten, und 1967 verlässt er Gisèle Lestrange, "die Fremde" , die jedoch wichtigste Person in seinem Leben, und ihren gemeinsamen Sohn Eric; Kontakte bleiben jedoch aufrecht.

Am 21. November 1969 bekennt er in einem Brief an Nani und Klaus Demus: "Gisèle habe ich ganz verloren." Und im letzten Brief (vom 21. Jänner 1970) an Klaus Demus heißt es: "Du hast soviel Sprache, Klaus - mir kommt die Sprache mehr und mehr abhanden. Bald werde ich nur noch mit den Knochen denken können, ein wenig Übung habe ich schon darin." - Auch die fünf Internierungen Celans in psychiatrische Kliniken sind vergeblich. In der Nacht vom 19. auf den 20. April 1970 stürzt er sich in die Seine und ertrinkt.

Zu Beginn des oben genannten Briefes ermuntert Celan seinen Freund: "Mein lieber Klaus, aber natürlich bist Du ein Dichter! Nur: diese Zeit ist nicht dichterisch, sie kann es nicht mehr sein, und sie will, daß wir das Wissen um ihr Nicht-dichterisch-Sein hinnehmen in das, was wir schreiben." - Nun, der nicht nur von Paul Celan so geschätzte Dichter hat bis heute 15 Gedichtbände publiziert, der erste, Das schwere Land, erschien 1958 im S. Fischer Verlag, in dem Haus, in dem auch die Bücher Kafkas und Hofmannsthals verlegt worden sind. Die darauffolgenden sieben (1969 bis 1994) erschienen im Neske Verlag, und seit 1996 verlegt der Löcker Verlag in Wien die Gedichte von Klaus Demus, der einmal in einem Brief an Celan sich beklagte: "Wir haben ja niemanden, mit dem wir sprechen können." In der Tat scheint Klaus Demus einer anderen Welt anzugehören, oder man könnte mit Rückert sagen, er ist der Welt abhanden gekommen. Sein jüngster Gedichtband, Die Zeiten des Jahres, versammelt Gedichte, die einer emphatischen Naturbegegnung geschuldet sind. Die Schönheiten, mit allen Sinnen aufgenommen, sind in streng gebaute Verse gerettet, die das Hässliche der Welt und die alle Proportionen sprengenden Eingriffe in Landschaften ignorieren: "Hades-Harmonie; durch / täglichen Schaudergraus / leuchtend behauptetes Zeugnis, / daß bis vor den Lebensverzicht / sich das Schöne, Unvergängliche, / ausprägt." Streunend saugt er das "karg Gewährte / als einer, der nichts übersieht, (...) vollständig" in sich auf: "Und wenn die gleichgraue Helle / dann schon in Tags Spätres / sich neigt und der Weg / durch steilere Falten / hinab mich entläßt, hab ich / alles vom Jetzt im Gefühl, / das Weiteste, Ganze, / das auch über mich verfügt."

Wer sich den Prozessen des Seins hingibt, jenen gestaltenden Metamorphosen, die nur bedingt vom Menschen ausgehen, trifft vorwiegend auf taube Ohren. Es ist zu hoffen, dass über den hervorragend edierten, mit Fotos bereicherten Briefwechsel auch das dichterische Werk von Klaus Demus wieder stärker beachtet wird. (Richard Wall, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 09./10.01.2010)

 

 

 



Briefwechsel in einer Frequenz und Intensität, die ihresgleichen sucht: Paul Celan (links) mit Nani und Klaus Demus in London 1955. Foto: Suhrkamp