Einmal im Jahr machen sich die Toubou Frauen gemeinsam auf den 1.500 Kilometer langen Weg durch die Sahara zur Dattelernte in den Oasen im Norden von Niger.

Foto: Poool Filmverleih

Mit den Einkünften aus dem Verkauf der Früchte tragen sie wesentlich zum Familieneinkommen bei, weshalb die Männer in der stark von Traditionen geprägten Gesellschaft der Toubou die Frauenkarawane auch akzeptieren. Im Bild die Frauen bei der Dattelernte.

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Filmemacherin Nathalie Borgers (Bild re.) zog ein Stück des Weges mit den Frauen mit, bevor sie mit ihrer Crew acht Wochen lang in der Wüste den Film drehte.

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Amina Ahmed ist eine der drei Hauptprotagonistinnen des Films. Die selbstbewusste Frau zieht ein Leben in der Stadt dem mühsamen Nomadenleben vor. Als geschiedene Frau kann sie unabhängig von den Männern ihr Leben selbst bestimmen.

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Anders Mariama Dadi: Ihre Eltern arrangierten ihre Ehe als sie 15 war, die Schule musste sie deshalb abbrechen. Mariama lehnt ihren Mann jedoch ab und möchte sich scheiden lassen, um wieder zur Schule gehen und arbeiten zu können. Ihr Mann willigt aber in die Scheidung nicht ein.

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Vollbepackt stehen die Kamele zum Abmarsch bereit. Die Kinder treiben die Ziegen zusammen, die Frauen verstauen die letzten Utensilien, rollen die Zelte ein. Ein langer Weg liegt vor den Frauen der Toubou, einem Nomadenvolk im Südosten der Sahara: Jedes Jahr einmal machen sie sich gemeinsam auf die 1.500 Kilometer lange Reise zur Dattelernte in den Oasen im Norden von Niger. Von den Einkünften aus dem Verkauf von fünf Kamelladungen der Früchte kann ein Nomadenhaushalt ein Jahr lang leben ohne eines der (über-)lebensnotwendigen Tiere verkaufen zu müssen. Die Kamele gehören den Männern - die Datteln den Frauen.

Vertrauen aufbauen

Filmemacherin Nathalie Borgers - die sich in Österreich bereits mit "Das Arrangement" (2004) über arrangierte Ehen von Töchtern türkischer Einwanderer in Wien und "Kronen Zeitung: Tag für Tag ein Boulevardstück" (2002) einen Namen machte - hat die beschwerliche Reise der zielstrebigen Frauen wochenlang mit der Kamera begleitet. Für die Recherchen zum Film "Frauenkarawane" legte sie selbst ein Stück des Weges mit der Frauenkarawane zurück, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. "Die Toubou-Frauen haben sehr viel Stolz und Selbstvertrauen", sagt Borgers im Gespräch mit dieStandard.at. "Trotz ihres von Trockenheit und Entbehrungen geprägten Alltags und trotz der Tatsache, dass sie nur halb so viel wert sind wie ein Mann, haben sie sich innerhalb des Systems eine gewisse Unabhängigkeit geschaffen. Wie sie mit ihrer Umwelt zurechtkommen, das wollte ich in meinem Film zeigen."

Der achtwöchige Dreh forderte dem Filmteam einiges ab: 50 Grad im Schatten, 70 in der Sonne, die schwere Ausrüstung und die schlimme Erkrankung zweier Team-Mitglieder erschwerten die Aufnahmen. "Zeitweise wanderten zwei Karawanen parallel zueinander", schildert Nathalie Borgers. "Hier die Frauenkarawane, dort wir, etwa wenn die Frauen ihren Weg mitten in der Nacht fortsetzten, um die große Hitze zu vermeiden. Wir konnten ihnen mit unserem tonnenschweren Material nicht immer gleich folgen, mussten sie dann später erst wieder finden."

"Man muss Ehrgeiz und ein Ziel haben"

Die Idee zum Film, der auch bei der Viennale 09 gezeigt wurde, stammt von Christoph Gretzmacher, dem lokalen Produktionsleiter, der in Niger lebt und in Kontakt zu Toubou-Guides steht. Die Hauptprotagonistinnen sind Domagali, die 50-jährige weise Anführerin der Karawane, die 27-jährige, geschiedene Amina und die seit sechs Jahren verheiratete, 21-jährige Mariama. Während Domagali im Einklang mit der Natur lebt und das Nomadenleben liebt, träumen Amina und Mariama von einem moderneren Leben. "Man muss Ehrgeiz und ein Ziel haben. Das Leben ist zu hart in der Sahara - ich habe es satt, den Weg zu den Datteln zu gehen", hegt die selbstsichere Amina im Gespräch mit Mariama bereits Pläne für ein Leben außerhalb der Wüste, mit einem eigenen Geschäft, einem eigenen Haus. Für Mariama wäre es das größte Glück, sich scheiden zu lassen und die Schule abzuschließen um als Assistentin in der Krankenpflege zu arbeiten - doch ihr Mann willigt in die Scheidung nicht ein.

Durch die Lebensgeschichte der drei Frauen erfahren die ZuseherInnen viel über die Traditionen, Sitten und Gebräuche der Toubou und über die Stellung der Frau in ihrer Gesellschaft. So hat eine junge Frau etwa bis zum Zeitpunkt ihrer Heirat keinerlei sozialen Status. Erst nach der, von den Eltern arrangierten, Heirat - ein Großteil der Frauen hat ihren Mann bis zur Hochzeit nie vorher gesehen - hat die Frau Rechte: Sie kann sich nun als Hausherrin am gesellschaftlichen Leben beteiligen und wird in Entscheidungen, die den Haushalt betreffen, miteingebunden. Dennoch ist sie von ihrem Ehemann abhängig - nur die Einkünfte aus den Datteln schaffen ihr einen finanziellen Spielraum: "Was die Frau damit verdient, kann sie nach Belieben ausgeben, es kommt aber immer der Familie zugute", erklärt Borgers.

Scheidung nach Flucht

Ungefähr ein Drittel der arrangierten Ehen endet mit einer vorzeitigen Scheidung. Nach der Hochzeit kann sich die Frau ihrem Mann traditionsgemäß eine Zeitlang verweigern, selbst wenn sie ihn akzeptiert. Wenn sie ihren Mann generell ablehnt, dann muss sie die Verweigerung durch Flucht zu Freunden oder Verwandten rituell verdeutlichen, bis dieser in die Scheidung einwilligt. Es kann jedoch Jahre dauern, bis einem Scheidungsantrag stattgegeben wird. Hat sie Kinder, dann muss sie diese dem Ehemann überlassen. Lehnt eine Frau nicht gleich nach der Hochzeitszeremonie ab, dann lässt sich eine spätere Scheidung kaum durchsetzen.

Paradoxerweise genießt die Frau nach der Scheidung jedoch eine große Freiheit und Unabhängigkeit. Sie kann leben, wie sie möchte, wird von der Gesellschaft akzeptiert und kann bei der Wahl ihres nächsten Ehemannes mitreden. Mit jungen, geschiedenen Frauen machen die Männer auch meist ihre ersten sexuellen Erfahrungen, da diese ungebunden sind und frei über ihren Körper verfügen können. "Die Toubou-Frauen erleben diese Dinge aber nicht als Widerspruch", sagt Nathalie Borgers. "Es ist ein soziales System, das auf der Realität basiert: Die Toubou-Gesellschaft ist ihrem Umfeld angepasst. Die Familiensolidarität innerhalb des Klans, die nur arrangierte Ehen zulässt, bildet auch einen Schutzwall gegen die Armut, die durch die geringste Trockenheit verursacht werden kann, da im Ernstfall alle zu Hilfe eilen. Dank traditioneller Regelungen können die Toubou unter den rauen Bedingungen in der Sahara überleben. Was jetzt nicht heißen soll, dass es nicht mehr Gleichheit zwischen Männern und Frauen geben könnte."

Tradition und Moderne

Zunächst widersprüchlich scheint auch das Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne: hier die Orientierung an der Natur auf der einen Seite, dort das Mobiltelefon im Jeep, die Digitaluhr für die Gebetsstunde, der Fernseher in den Oasenstädten auf der anderen Seite. "Trotz der Erleichterungen, die das moderne Leben bietet, wollen aber lange nicht alle in die Stadt", sagt Nathalie Borgers.

Bisher wurde der Film neben der Viennale beim Internationalen Filmfestival in Südkorea, in Belgien, Thessaloniki und bei französischen Festivals gezeigt. Und sobald die nötigen Gelder dafür aufgetrieben sind, möchte das Filmteam ihn auch den ProtagonistInnen in der Wüste präsentieren. Außerdem wird in Kooperation mit NGOs versucht, die Bedingungen rund um den Handel mit Datteln für die Toubou-Frauen zu verbessern. In Wien und Linz ist die "Frauenkarawane" ab 15. bzw. 22. Jänner zu sehen, zum Frauentag am 8. März wird es dann noch eine Extra-Vorführung geben. (isa/dieStandard.at, 14. Jänner 2010)