Wien - Wenn Doris Stelzer sieht, dass Mode für Teenager immer stärker sexualisiert wird, dass die Werbung in Krisenzeiten wieder verstärkt auf nackte Frauenkörper setzt und der alltägliche Blick das nicht einmal wahrnimmt, dann wird sie "emotional". "Ich sehe einen Rückschritt", sagt die österreichische Choreographin. Aber statt Kampfrhetorik geht Stelzer die Sache in ihren Stücken spielerisch an: "Gender muss nicht immer todernst sein." Leo-Muster tragen die Dame und die Herren in ihrem "gender jungle - wo/man", das am Donnerstagabend im Tanzquartier uraufgeführt wird (mehr dazu in der Wochenplanerin).

Mikroskopische Studien

Die Kostüme hat sie mit ihren TänzerInnen beim "Recherche-Shoppen" entdeckt. Mode ist verräterisch für die Körperstereotypen einer Gesellschaft - umso mehr wenn sie den TänzerInnen ihrer Truppe "dis.danse" als Requisiten für eine mikroskopische Studie dienen. "Das ist mein Urinteresse, denke ich", meint Stelzer, die auch in ihren früheren Werken, etwa in "shifted views" (2007 bei ImPulsTanz) eine scharfe Analysegabe bewiesen hat, beim "Bewegungen rausfiltern unter ganz strengen Bedingungen". Pose um Pose, Muskel um Muskel. "Die Hüfte etwa ist sehr interessant: Wann ist ihre Bewegung alltäglich, wann hat sie konkrete Bedeutung - und an wem?"

Ihren geduldigen Forscherinnengeist für die Details des Körpers hat Doris Stelzer, 1971 in Oberösterreich geboren, nicht zuletzt in ihrem Biotechnologie-Studium geschult. "Tatsächlich haben mehrere Leute aus der Szene einen technischen Berufs-Hintergrund - von Biochemie bis Bergbau - und sich dann aber im Tanz ihr Leben aufgebaut", erzählt sie. "In meiner Arbeit gibt es die Verwandtschaft zwischen beiden Bereichen in der Kleinteiligkeit, für die man sich interessiert."

Weibliche Klischees an Männerkörpern probieren

Getanzt hatte sie schon lange nebenbei - "irgendwann sagt man Ja zu seiner Leidenschaft." Von den Kleinteilen ist sie in der Zwischenzeit "einen Schritt weiter" gegangen. "Fülliger, bunter" als in früheren Arbeiten wird im "gender jungle" gezeichnet, "bewusst ironisch und lustvoll, aber nicht naiv": An den "Modellen" Lieve de Pourcq, Gabriel Schenker und Ondrej Vidlar stellt Stelzer ihre Beobachtungen aus dem Alltag aus, probiert "weibliche Klischees an Männerkörpern aus" und zeigt im Vergleich der drei Körper: "Sie sind eher ähnlich als unterschiedlich. Der Rest ist Inszenierung durch die Bewegung, die Accessoires, die Mode".

Alltäglicher Rückschritt

In hochtheoretische Gender-Überlegungen will sich Stelzer dabei eben gerade nicht versteigen. "Der Gender-Diskurs ist sehr weit, gleichzeitig erlebe ich im Alltäglichen einen Rückschritt. Man ist ja nicht einmal selbst davor gefeit, dass sich die gleichen Stereotypen reproduzieren und man sich daraus unreflektiert seine Schönheitsideale zimmert". Statt intellektueller Schwerkost gibt es hier also "ganz bewusst die Oberfläche". Politisch ist das Stück trotzdem, "insofern, als es mich aufregt".

Gezeigt hat Stelzer eine erste Version des Stücks schon im Dezember als Preview beim "Working Title"-Festival in Brüssel, für die Wiener Uraufführung wurden Licht- und Sound verfeinert. "Jetzt muss ich dann mal eine Ruhe geben", lacht Stelzer, und das Choreographie-Kind laufen lernen lassen - wenn es nach ihr geht, möglichst weit. "Momentan möchte ich einfach mehr spielen, daran wachsen, verschiedenes Publikum in verschiedenen Städten erleben". In Wien sei im Tanz immer "viel los". "Die Stadt hat eine wirklich spannende Szene, auf vielen Ebenen - aber man muss auch zu ihr stehen und den Leuten Möglichkeiten geben. Der Tanz müsste über Wien hinauswachsen." (APA)