Schrei mit Rückkopplung: Werner Reiterers Handlungsanweisungen ändern nicht nur den Zustand von Räumen

Foto: Galerie Krinzinger

"Holen Sie tief Atem und tragen Sie die Luft in den nächsten Raum", trug Werner Reiterer 2001 den Besuchern des Kunstvereins Hannover mittels Wandtexts auf. Eine flüchtige Skulptur, die das Einverständnis des Betrachters, seine Mitarbeit voraussetzt - zumindest in Dimensionen der Vorstellungskraft. Denn, auch das ist ein Charakteristikum von Reiterers Werk, die Arbeit vollendet sich im Kopf: Dort entstehen die Bilder von den zwei Litern Atemluft, die sich ins abgestandene graue Gasgemisch zwängen. Oder von der Kirchenglocke, die dicht vor unseren Augen vibriert. Oder von den Gräben aufreißenden Bombensplittern. Reiterer liefert dazu in seiner Schau bei Krinzinger nur die Geräusche.

In einem Sandsack mit bombigem Fortsatz lauert die Schauern machende Explosion, und das laute, schneller und langsamer werdende Ticken der Bahnhofsuhr sorgt zusätzlich für mulmige Dramatik. Dem am Absatz kehrt machenden Besucher der Galerie möchte man nachrufen: "Sie müssen dagegenboxen!" Er hat das laute Krachen verpasst, hat den Comic, den Reiterer in den dreidimensionalen Raum hineinversetzt, quasi ohne Sprechblasen, ohne sogenannte "Lettered Sounds" wie "Kawumm!" und "Zawusch!" gelesen.

Von Unsichtbarkeit bedroht ist, so gesehen, auch eine Arbeit wie Breath, Reiterers Intervention für den Marmorsaal des Oberen Belvederes (bis 28. 3.), eine Installation, die 2007 im Kunsthaus Graz zu sehen war: "Schreien Sie jetzt, so laut Sie können" lautet die handgepinselte, für ein touristisches Publikum viersprachig abgefasste Handlungsanweisung: Wer die Stimme nicht erhebt, es nicht wagt, vom passiven Beobachter in die Rolle des Akteurs zu schlüpfen, wird nicht erleben, wie der Saal zu atmen beginnt, wie lautes Schnaufen durch an- und abschwellende Festbeleuchtung untermalt wird.

In der seligen Ruhe eines Museums oder White Cubes peitscht so plötzlich auftretender Lärm, der im launigen Kollektiv einer Eröffnung für Kurzweil sorgt, den Puls kurzzeitig in die Höhe, hinterlässt nachhallende Unruhe. Aber das Leben ist nun einmal keine Party, Gott macht manchmal Pause (Draft For An Altar), und der Glockenschlag (Life counts Death) markiert den Zeitpunkt, der das Kommen und Gehen eines Menschen, Geburt und Tod, ankündigt. Death in a Solution of Life eben, wie die Schau in Wien titelt. Oder: Life in a Solution of Death, wie Reiterer es zuletzt in der Pariser Galerie Loevenbruck benannte. Denn es ist einerlei: Der eine ist und bleibt auf ewig der lästige Bruder des anderen.

Was von den beiden anregenden Schauen bleibt - eine Art Essenz der operativen Vorschläge Reiterers, deren Comic-Moment im Medium Zeichnung stärker zutage tritt -, ist die Änderung der Haltung, quasi des eigenen Aggregatzustands: Derartig belebt, gewinnt die behaarte Stele Hitler Monument nicht nur an Ironie. (kafe/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.1.2010)