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Zu verändern heißt, an den richtigen Ecken neu aufzurollen und nicht immer Altes neu zu erfinden

Foto: APA/Oliver Berg

n Unternehmen über fünf Jahre im Rahmen eines Veränderungsprozesses zu begleiten sei nicht die Regel, sagt Ruth Seliger, geschäftsführende Gesellschafterin von Train Consulting. So etwas wie Trennungsschmerz empfinde sie aber nicht, sagt sie und schaut zu Jürgen Bauer, Direktor der Regionalleitung Ost beim Logistik-Konzern Gebrüder Weiss. Gemeinsam werde man den Prozess im März dieses Jahres abschließen, und das sei gut so, sind sich beide einig.

Im Jahr 2004, als das Unternehmen Gebrüder Weiss an Train Consulting herantrat, lag die zentrale Aufgabenstellung darin, von einer vertikalen Struktur mit starkem Fokus auf Dienstleistungsprodukten zu einer am Kunden orientierten Prozessorganisation zu finden. Ein Leidensdruck - besonders, da der Prozess noch vor der Weltwirtschaftskrise in Angriff genommen worden war - sei nicht offen sichtbar gewesen, sagt Bauer. Man habe im Unternehmen einfach das Gefühl gehabt, alle Möglichkeiten, wie mit dem Umsatz rauf- und den Kosten runterzugehen, ausgereizt zu haben. "Wir hatten einfach eine Schnittstellenproblematik", so Bauer rückblickend. In einer Branche, in der die Kundenstruktur, die Produkte und Dienstleistungen eine sehr hohe Vergleichbarkeit aufweisen, werde, so Seliger ergänzend, der Verhandlungsspielraum auch ein immer kleinerer und zudem die Abhängigkeit von bestimmten Kunden oft zu groß.

Klar war, so Seliger, dass für eine solch tiefgreifende Veränderung eine möglichst breite Einbindung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen notwendig ist. So wurde nach einer ersten Einbindung der oberen Führungskräfte in die Formulierung einer Strategie-Entwicklung mit einem erweiterten Führungskreis - in einem zweiten Schritt - das gemeinsame Bild von Kundenorientierung und Entwicklung eines Führungsleitbildes erarbeitet. In einem dritten Schritt wurden dann alle Führungskräfte der zwischen 500 und 600 Mitarbeiter zählenden Niederlassung in den Change-Prozess eingebunden - und zwar, so Seliger, im Rahmen einer Großkonferenz. Ein Format, das heute als "Organisationsdialog" ein Fixpunkt der Regelkommunikation unter den Führungskräften ist. Bauer: "Ich war überrascht, wie schnell und wie gut uns diese erste Phase gelungen ist." Den Führungskräften wurde aber auch rasch klar, dass neue Herausforderungen auf sie zukommen werden.

Neue Kultur mitentwickeln

Eine Herausforderung lag, so Seliger, auch darin, nicht nur neue Prozesse zu gestalten und zu führen, sondern auch die Unternehmenskultur entsprechend mitwachsen zu lassen. Die Frage, wie die wichtigen Veränderungsthemen und insbesondere die Aspekte einer neuen Kultur für alle wahrnehmbar dargestellt und in der Folge auch gelebt werden können, war essenziell, so Seliger und Bauer sinngemäß. 

An diesem Punkt kamen insbesondere zwei Methoden zum Einsatz, erklärt Seliger. Zum einen die "wertschätzende Befragung", in Fachkreisen als Appreciative Inquiry bekannt. Eine Mitarbeitergruppe wurde beauftragt, im Unternehmen nach positiven Beispielen etwa im Führungs_leitbild zu suchen und auch zu fragen, was getan werden könne, um mehr davon zu bekommen. Seliger: "Dieses Instrument fördert und steuert die Aufmerksamkeit, mit der Folge, dass auch Mitarbeiter mündiger werden, weil eben auch diese Art von ‚Problemhypnose‘ nicht mehr hingenommen wird." 

Zum anderen kam die Methode des Action Learning zum Einsatz. Mitarbeiter quer durch alle Bereiche wurden beauftragt, Themen zu bearbeiten, die die Unternehmensentwicklung unterstützen sollten. Eine Methode, sagt Jürgen Bauer, die zu einem sehr wichtigen Lernformat im Unternehmen geworden ist. Weil sie neue Perspektiven eröffnet, Wissen transparent macht, weil mehr und neue Netzwerke in einem Unternehmen entstehen und auch neue Kompetenzen freigesetzt werden. Die jeweiligen Ergebnisse wurden bei den Organisationsdialogen präsentiert, diskutiert und dann auch umgesetzt.

Komplexität erlernen

Insgesamt wurden durch diese Techniken, so Bauer, die Basisprozesse gefestigt. Auch der Umgang mit einer zuweilen gestiegenen Komplexität konnte dadurch geübt werden. Bauer: "Die Frage ist doch, was an den neuen An_forderungen im Rahmen einer Dienstleistung für einen bestimmten Kunden standardisierbar ist und wie viel Prozent wir davon gewissermaßen ‚neu erfinden‘ müssen." Eine daraus resultierende positive Veränderung sei, sagt Bauer, dass etwa Probleme nicht mehr nach oben delegiert, sondern heute auf der passenden Ebene bearbeitet werden, die Kooperation im Management-Team professionalisiert wurde und auch, dass durch das Erlernen neuer Kommunikations- und Kooperationsformen besser auf die „Krise", die mitten in den Prozess fiel, reagiert werden und doch einiges abgefedert werden konnte, sagt Bauer. Und, so ergänzt Seliger, es wurde klar kommuniziert, dass das Unternehmen für einen solch weitreichenden Prozess einen ökonomisch langen Atem hat.

"Heute", kann sich Jürgen Bauer ein Grinsen nicht verkneifen, "sind Führungskräfte in unserem Haus mehr gefordert denn je. Die Erwartung der Mitarbeiter an ihre Führungskräfte ist deutlich gestiegen." (Heidi Aichinger, DER STANDARD, Pritnausgabe, 16./17.1.2010)