Wien/Graz - Das Urteil vom vergangenen Freitag, mit dem das Wiener Landesgericht einem seit 20 Jahren in Wien lebenden gebürtigen Türken eine "allgemein begreifliche, heftige Gemütsbewegung" zugebilligt hatte, hat am Montag weitere politische Reaktionen ausgelöst. Die Gerichtsentscheidung, dem Mann, der über ein Dutzend Mal auf seine scheidungswillige Frau eingestochen und sie auch noch mit einem Stahlrohr malträtiert hatte, versuchten Totschlag zuzugestehen und ihn nicht wegen Mordversuchs zu bestrafen, erscheint umso bemerkenswerter, als der 46-Jährige kurz vor der Bluttat angekündigt hatte, er werde die Frau "umbringen".

Der Familienvater, der mit seiner Frau und sechs Kindern im Alter zwischen zwei und 19 Jahren in einer 90 Quadratmeter-Wohnung in Wien-Floridsdorf lebte, wusste schon länger von den Trennungsabsichten seiner Ehefrau. Grund: Sie wollte seinen Gewalttätigkeiten entfliehen.

Mann wurde mindestens einmal vorher gewalttätig

Selbst der Verteidiger des Mannes räumte in der Gerichtsverhandlung ein, es habe vor dem inkriminierten Vorfall, den der Jurist als "umfassendes Erbeben" bezeichnete, schon einen "Vulkanausbruch" gegeben. Doch habe sich sein Mandant dabei "auf eine Ohrfeige, eine Tachtel beschränkt".

Der Ehefrau entschied sich zu einer Scheidung, sie hatte infolge dessen ihren ältesten Sohn gebeten, ihr Scheidungsunterlagen zu besorgen. Diese angespannte Situation zehrte offensichtlich an den Nerven des Ehemannes. Am 12. Oktober 2009 kündigte er an: "Ich halte das nicht mehr aus. Ich schwöre, irgendwann bringe ich die Frau um."

Ältester Sohn rettete Ehefrau das Leben

Nur wenige Stunden später, als er die Scheidungspapiere zu Gesicht bekam, setzte er diese Ankündigung beinahe in die Tat um. Die schwer verletzte Frau überlebte den Angriff möglicherweise nur deshalb, weil sich der älteste Sohn zwischen Vater und Mutter stellte und jener es gelang, sich aus der Wohnung zu Nachbarn zu flüchten, die ihr auf ihr Geschrei hin die Tür öffneten. Ihr bewaffneter Ehemann hatte sie noch auf den Hausgang verfolgt.

Beschwichtigungen "frauenpolitisch untragbar"

 

Für die SPÖ-Frauen sind dieses Urteil und die Reaktion von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, wonach vor Gericht jede und jeder Angeklagte gleich sei,  nicht annehmbar. Ersteres stelle "eine skandalöse Verharmlosung von Gewalt an Frauen dar", so Bundesfrauengeschäftsführerin Andrea Mautz am Montag in einer Presseaussendung, während sie die "Beschwichtigungsversuche" von Bandion-Ortner als "nicht angebracht und in diesem Zusammenhang frauenpolitisch untragbar" bezeichnete.

Mit der Urteilsbegründung, der Migrationshintergrund des Täters weise auf dessen schwierige Lebenssituation hin, und dieser habe sich in einer "allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung" befunden, werde "ein fatales Signal gesendet und für Gewalt gegen Frauen geradezu Verständnis suggeriert", stellte Mautz fest. Sie forderte Justizministerin Bandion-Ortner auf, "klar Stellung zu beziehen und dieses Urteil auf keinen Fall zu verharmlosen".

Auch SPÖ-Frauensprecherin Gisela Wurm sieht dies ähnlich. Der gegenständliche Fall sei kein Einzelfall, die Justiz verharmlose zum Teil Gewaltexzesse gegen Frauen. Wurm verlangte daher in einer Aussendung Fortbildungsprogramme für Richter und Staatsanwälte, um diese für Diskriminierungen und Gender-Fragen zu sensibilisieren. Außerdem empfahl sie dem Justizministerium, Urteile zu häuslicher Gewalt "laufend zu beobachten".

Auch in der Steiermark hat das Urteil für Empörung gesorgt: SPÖ-Landesrätinnen sowie die Geschäftsführerinnen der Frauenhäuser wandten sich scharf gegen damit verbundene "Verharmlosung" und "bedenkliche Signale".

"Gleiches Gesetz für alle"

"Es kann wohl nicht sein, dass diese schreckliche Gewalttat sogar noch durch die Justiz verharmlost wird. Das Gesetz muss für alle gleich gelten", erklärten die beiden Juristinnen und SPÖ-Landesrätinnen Bettina Vollath und Elisabeth Grossmann in einer gemeinsamen Aussendung. Auch ein Migrationshintergrund dürfe bei einer Gewalttat nie als Milderungsgrund gewertet werden. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner wurde aufgefordert, durch Ausbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass die Justiz "in Zukunft auf diesem Auge nicht mehr blind ist", hieß es von Vollath und Grossmann.

Absage an das Vertrauen in die Justiz

Auch die Geschäftsführerinnen der Frauenhäuser von Kapfenberg und Graz, Hilde Scheikl und Michaela Gosch, kritisierten das Urteil, welches ein "äußerst bedenkliches Signal" darstelle. Laut Scheikl und Gosch diskriminiere es Frauen und Migrantinnen und sei "eine Absage an das Vertrauen in die Justiz und das gesamte Rechtssystem". Europa übe zu Recht Kritik an der Stellung von Frauen in der islamischen Welt - auf diese Weise würden allerdings Delikte wie Ehrenmord oder Zwangsheirat "salonfähig" gemacht, warnten die beiden Frauenhaus-Geschäftsführerinnen. "Für jeden Menschen, der sich in Österreich aufhält, hat das hiesige Wertesystem zu gelten und sollte im Falle einer Straftat auch bei der Urteilsfindung herangezogen werden", sagte auch SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim am Samstag. (APA)