Ein Gesicht als Projektionsfläche allen Begehrens: Nie wieder zeigte Romy Schneider so viel Bereitschaft zur Hingabe wie in Henri-Georges Clouzots unvollendetem "L'Enfer".

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Jäger verschollener Filme: Archivar und Regisseur Serge Bromberg.

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Wien - Das Mysterium des Unfertigen ist deshalb so groß, weil es viel Raum für Fantasie lässt. L'Enfer gilt nicht zuletzt deshalb als eine der sagenumwobensten Ruinen der Filmgeschichte. Der Franzose Henri-Georges Clouzot, Meister des spannungsgeladenen Handwerks (Die Teuflischen, Lohn der Angst) und deshalb von den Aufrührern der Nouvelle Vague zur alten Nummer erklärt, wollte es 1964 mit diesem Film sich selbst und allen anderen noch einmal beweisen. Man ließ ihm dafür freie Hand. Das Drehbuch brachte ihm ein unbegrenztes US-Budget ein, mit Romy Schneider hatte er einen Jungstar an der Seite, nicht weniger als drei Kamerateams unterstützten ihn.

Nach drei Wochen Drehzeit wurde der Dreh abgebrochen, da Clouzot eine Herzattacke erlitten hatte. Das bereits belichtete Material verschwand in einem Tresor, widersprüchliche Gerüchte um die angespannte Stimmung am Set gerieten in Umlauf, doch niemand bekam die Filmrollen je wieder zu Gesicht. Bis Serge Bromberg, ein passionierter Filmjäger und -archivar, einen neuen Anlauf unternahm und die Witwe Clouzots, Inès, aufsuchte. Nach abschlägiger Antwort blieb er mit ihr im Lift stecken: "Ich sprach mit ihr über die Idee der Restaurierung, die sie aber nicht für besonders originell hielt - dann aber saßen wir zwei Stunden lang fest. Erst das hielt sie dann für etwas Besonderes" , erzählt Bromberg verschmitzt im Standard-Interview.

Was er schließlich im Archiv vorfand, übertraf alle Erwartungen: "Ich dachte, dass die Filmdosen eine Antwort darauf geben würden, warum der Film nicht vollendet worden war. Zwei, drei Sunden Material hatte ich erwartet, nicht 15 Stunden!" Der Schatz bestand aus den weit gediehenen Zeugnissen eines Projekts, das in einer Experimentierphase steckengeblieben war. Der Film erforscht die Eifersucht eines Mannes in Bezug auf seine junge Frau, die groteske Züge annimmt - seine zwanghafte, instabile Wahrnehmung versuchte Clouzot filmisch zu vermitteln, indem er mit diversen Make-up- und Lichteffekten sowie aus der Op-Art eines Victor Vasarely entlehnten Verfahren herumprobierte.

Notorisch unzufrieden, kamen Clouzot immer wieder neue Ideen, ähnlich perfektionistisch wie Stanley Kubrick: Den See, auf dem sich Romy mit einem eingebildetem Nebenbuhler vergnügt, wollte Clouzot in Rot umfärben - damals war das nur möglich, indem man die gesamte Sequenz in Komplementärfarben drehte, mit hohem Ausstattungsaufwand. Die 26-jährige Schauspielerin gibt in den Farbszenen, den Visionen ihres Mannes (Serge Reggiani), so viel von sich preis, wie in keinem anderen ihrer Filme. Sie wird in Plastikfolien verpackt, kokettiert vor psychedelischen Dekors mit dem Kameraauge, streckt die Zunge lasziv durch eine Wasserwand. Oder räkelt sich nackt vor einem fahrenden Zug.

Fleisch, Verführung

"Alles, was ich sehen konnte, war so herausragend" , erzählt ein immer noch von seinem Fund begeisterter Bromberg: "Wie war es möglich, dass ein Mann eine Frau auf diese Weise filmen konnte? Wie war es möglich, dass sich ein Star in diesem Ausmaß ausliefert? Romy ließ alles mit sich machen. Ich bin mir sehr sicher, dass sie ganz andere Rollen gespielt hätte, wäre dieser Film fertiggestellt worden. Wenn man sie hier sieht, ist sie ganz Fleisch, Verführung, Ausstrahlung. Was kann man anderes tun, als sich in diese Frau sofort zu verlieben?"

Inferno (L'Enfer d'Henri-Georges Clouzot), wie nun Brombergs gemeinsam mit Ruxandra Medrea gefertigter Film heißt, ist so nicht nur die Geschichte eines unvollendeten Films, sondern auch eine der nachhaltigen Aura von filmischem Material. Die Teile überstrahlen das Ganze und entwickeln ein intensives Eigenleben. Woran L'Enfer scheiterte - an der Depression des Hauptdarstellers, Clouzots Maßlosigkeit oder der budgetären Freiheit -, diese Antwort ist ohnehin nicht zu finden. "Es ist wie bei der Cheops-Pyramide: Wie haben sie sie gebaut? Es gibt bloß Hypothesen. Eigentlich das Beste, weil man nun Einblick in den Geisteszustand von Clouzot bekommt. Ich finde, dass man zuerst mit seinen Augen auf das Projekt blickt, doch je länger es dauert, desto mehr wendet sich die Kamera, und man interessiert sich für Clouzot. Man sieht ihm dabei zu, wie er sich in seiner Logik verfängt." (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Printausgabe, 20. 1. 2010)