Es ist eine Art Obama-Bashing-Festival, das zum ersten Jahrestag der Amtsübernahme des amerikanischen Präsidenten ausgerichtet wird: Er leide unter sinkenden Umfragewerten, er halte seine Versprechen nicht, er enttäusche seine Unterstützer, er sei viel zu weich gegenüber gefährlichen Potentaten und aufstrebenden Konkurrenten der Supermacht in aller Welt. Zwischen all den wortreich vorgetragenen Enttäuschungskadenzen kann der bedauernswerte Mann im Oval Office dieser Tage anscheinend gar nichts mehr richtig machen. Missvergnügen, unfaire Beurteilung und eine Häme, mit der nur die echten Überflieger rechnen dürfen, sind ihm sicher. Jede Verhältnismäßigkeit scheint verloren.

Und trotz alledem: Barack Obama macht einen guten Job.

Als er ihn vor einem Jahr übernahm, erlebte die Wirtschaftskrise einen Höhepunkt. Es grassierte die Angst vor einer großen Depression, Weltuntergangsstimmung machte sich breit. Inzwischen hat sich die Lage einigermaßen stabilisiert. Das ist auch das Verdienst Obamas, der dem Kongress ein 800-Milliarden-Dollar-Stimuluspaket abgerungen hat. Zudem haben die USA mit ihm weltpolitisch inzwischen wieder alle Optionen. Aus der politisch wie wirtschaftlich miserablen Lage, in der er die Vereinigten Staaten übernommen hat, hat er inzwischen einiges gemacht.

Und wer sich partout nicht mehr an die Zeit vor Obama erinnern kann, möge sich jene Fernsehbilder ansehen, in denen unlängst der feixende George W. Bush neben Obama als Haiti-Helfer im Rosengarten des Weißen Hauses auftrat. Beide erlebt, kein Vergleich - nur so kann der Schluss lauten, der aus dieser kleinen Gedächtnisauffrischung zu ziehen ist.

Das heißt nicht, dass Obama in diesem Jahr keine Fehler unterlaufen wären. Der von den Obama-Skeptikern wohl am wenigsten beklagte ist, dass der coole Präsident über dem Pragmatismus und der neuen Sachlichkeit, mit der er regiert, auf die Politik vergessen zu haben scheint. Mit seinem Amtsantritt, möchte man meinen, habe den brillanten Wahlkämpfer das Gespür für die Leute verlassen. Zwischen April und Juni 2009, diagnostizierte die New York Times, haben Barack Obama und seine reflektierte Administration in den Umfragen den Kontakt zu Volkes Stimme verloren - oder, bei wohlwollenderer Betrachtungsweise, verlieren wollen.

Obama musste in den ersten zwölf Monaten seiner Amtszeit auch unpopuläre Dinge anpacken. Die Gesundheitsreform oder auch die Truppenaufstockung in Afghanistan gehörten zu den Themen, die selbst für einen Obama schwer zu verkaufen sind. Dazu kommt ein "enthusiasm gap" , eine große Ernüchterung, in der sich wohl jeder Präsident schwertun würde. Auch deswegen sind die Demoktraten bei der Senatsnachwahl in Massachussetts in die Bredouille geraten.

Neben dem Obama-Bashing ist der historische Präsidentenvergleich in Washington dieser Tage eine gern geübte Disziplin. Und dabei kommt heraus, dass nur Ronald Reagan nach seinem ersten Jahr im Amt in Umfragen schlechter dastand als Obama. Der Kalifornier gewann seine Wiederwahl 1984 mit großem Abstand. Nichts spricht dagegen, dass es bei Obama nicht gleich kommen sollte. Denn abgerechnet wird auch für ihn nicht nach einem Jahr im Amt, sondern erst 2012. (Christoph Prantner, DER STANDARD, Printausgabe 20.1.2010)