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Gemeinsam lernen, essen, spielen, und das von 8 bis 16 Uhr: So könnte die Wiener Ganztagesschule aussehen. Zwangsbeglückt soll damit aber niemand werden

Foto: APA/Bernd Weißbrod

Wien - Vom Schülervertreter über diverse Bildungssprecher bis zur ehemaligen Unterrichtsministerin: Wer in den letzten Jahren und Jahrzehnten Bildungspolitik für die Volkspartei gemacht hat, der kam um die Vokabel "Zwangstagsschule" nicht herum. Während sich die Sozialdemokraten seit langem für die ganztägige Schulform aussprechen, vermuten die Schwarzen dahinter offenbar das verpflichtende Ende des freien Nachmittags für Schüler - und natürlich auch für Lehrer.

Ganztagsschule als Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Nun scheint es, als möchte sich die SP von den Wienern Rückendeckung in dieser ideologisch aufgeladenen Debatte holen. "Internationale Studien zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende (sic!) Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt. Sind Sie für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien?" - Das sollen die Wiener im Rahmen der Volksbefragung von 11. bis 13. Februar beantworten.

Keine Kinderaufbewahrung sondern qualitätsvolle Betreuung

Nicht jeder, der Ganztagsschule sagt, meint damit aber dasselbe. Für die nichtamtsführende Stadträtin der VP, Isabella Leeb, soll es sich dabei nicht um eine "Kinderaufbewahrung" handeln, sondern ein "vernünftiges, verschränktes System, wo eine qualitätsvolle Betreuung geboten wird". Das Wort Zwangstagsschule nimmt sie nicht in den Mund, betont aber die Wahlfreiheit, die bestehen bleiben müsse.

SP verspricht Wahlfreiheit

Die SP meint mit Ganztagsschule die "verschränkte Form" der Betreuung, sprich: Unterricht am Vormittag und am Nachmittag, dazwischen Freizeit und gemeinsames Essen. Der verpflichtende Unterricht findet von 8 bis 16 Uhr statt, anschließend soll es bei Bedarf Betreuung geben. Wer eine entsprechende Schule besucht, muss dort also den ganzen Tag sein, sonst versäumt er oder sie die Hälfte des Unterrichts. Die Wahlfreiheit sei aber dennoch garantiert, sagt Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch (SP) - schließlich werde es ja auch weiterhin Pflichtschulen mit Vormittagsangebot geben.

Keine Verdopplung des Vormittags

Andreas Schnider versteht diese ideologischen Probleme nicht: "Alles scheint sich um die Frage zu drehen, ob die Schule vor dem Mittagessen vorbei ist." Der Religionspädagoge, VP-Bundesrat und steirische Bildungsquerdenker meint: "Ohne Verpflichtung geht's halt nicht im Schulsystem. Der Großteil Europas hat schon die ,Zwangstagsschule', und bei uns herrscht halt am Vormittag der Zwang." Nachmittagsbetreuung in der Schule wirke sich zwar positiv auf den Arbeitsmarkt aus, weil sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtere - pädagogische Effekte verspricht sich Schnider aber nur von der verschränkten Ganztagsschule. Diese soll alles andere sein als eine Verdopplung des Vormittags: "Davor graut mir", sagt Schnider, und: "Ich möchte, dass das eine neu konzipierte Schule ist, die den Tag als Bildungseinheit wahrnimmt."

Grüne vermissen Qualität

Die Bildungssprecherin der Wiener Grünen, Susanne Jerusalem, vermisst bei der Formulierung der Volksbefragung die Qualitätsstandards: "Die Eltern erfahren nicht, was die Ganztagsschule bietet." Nach den Vorstellungen der Grünen soll die Ganztagesschule nicht nur verbesserte Infrastruktur, sondern auch mehr und besser ausgebildetes Lehr- und Betreuungspersonal beinhalten. Zahlen sollen das jedenfalls nicht die Eltern: Für sie soll die Ganztagsschule kostenlos sein, fordert Jerusalem.

Ob der "ärgerlichen Formulierungen" will sich Jerusalem nicht an der Volksbefragung beteiligen - ebenso wie VP-Stadträtin Leeb: "Ein demokratisches Instrument wird von einer Partei als Wahlwerbung missbraucht, und dafür gebe ich mich sicher nicht her. Verarschen kann ich mich selber."(DER STANDARD Printausgabe 21.1.2010)