Doris Leibetseder: "Queere Tracks. Subversive Strategien in der Rock- und Popmusik", EUR 30,70, Transcript Verlag, ISBN 978-3-8376-1193-9

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Doris Leibetseder studierte Philosophie, Spanisch und Geschichte in Wien, Barcelona und London. Derzeit lehrt als Österreich-Lektorin am German Department der Durham University (UK).

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Rock- und Popmusik hat schon so manche neuartige oder ungewohnte Ästhetik etabliert und an Tabus gekratzt. Da gab es etwa eine Britney Spears küssende Madonna auf einer Konzertbühne, Björk als Cyborg oder Grace Jones als Statue. Mit solchen und anderen Beispielen aus der Popkultur hat sich Doris Leibetseder in ihrem Buch "Queere Tracks. Subversive Strategien in der Rock- und Popmusik" beschäftigt und ist der Frage nachgegangen, wie und welche dieser Strategien wirken. dieStandard.at sprach mit der Autorin über raffinierte Kunstgriffe von MusikerInnen, was "queer" eigentlich bedeutet und über die Differenzen zwischen Theorie und Praxis.

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dieStandard.at: Welche Beispiele gibt es für feministische oder queere Strategien in der Rock- und Popmusik?

Leibetseder: Etwa der Song "Walking in the rain" von Grace Jones, in dem sie darüber singt, wie es sich anfühlt als Mann in der finsteren Nacht durch die Straßen zu gehen. Frauen wird ja eher nahegelegt nicht Nachts durch die Straßen zu streifen. Grace Jones übernimmt die männliche Rolle vollkommen, kickt leere Dosen durch die Straßen usw. Ein anderes Beispiel ist Peaches, deren zweites Album "Fatherfucker" heißt. Im Hip-Hop kommen ja zu Genüge "Motherfucker" vor. Durch diese Strategie der Parodie mit einem Wort, wird durch eine kleine Veränderung eine völlig neue Bedeutung rein gebracht, in diesem Beispiel wird auch die Frage aufgeworfen, warum immer nur Frauen oder "Mothers" gefickt werden. Somit wird auch erprobt, was passiert, wenn "Fatherfucker" gesagt wird. Oder noch ein Beispiel von Peaches, bei der das bei Konzerten oft gegrölte "shake your tits" zu "shake your dicks" wird.

dieStandard.at: Wie tief muss frau in populärer Musik nach solchen feministischen und queeren Strategien graben?

Leibetseder: Erstmal kann eine Unterscheidung zwischen Mainstream und Subkultur eingezogen werden. Mainstream bekommen die meisten Leute mit, in der Subkultur spezialisieren sich die ZuhörerInnen auf bestimmte Richtungen. Im Mainstream sind diese Strategien sicher eher dünn gesät. Es kommen aber schon auch feministische oder queere Elemente vor, diese sind aber meist nur versteckt oder sehr schwer erkennbar.

Zum Beispiel hat Madonna für viele selbstermächtigende Strategien angewandt oder eine positive Darstellung der weiblichen Sexualität gezeigt. Zumindest waren das in den 80er Jahren schon neue Darstellungen, die in den Medien so bisher nicht vorkamen. Wobei natürlich schon auch die Gefahr besteht, dass nur Frauen mit Sexualität verbunden werden oder nur Frauen sich als sexuelle Objekte in den Medien darstellen.

dieStandard.at: "Queer" wird im deutschsprachigen Raum meist einfach synonym mit lesbisch oder schwul verwendet. Wie verwenden Sie den Begriff in ihrem Buch, der ja in anderen Definitionen über schwul oder lesbisch hinausgeht?

Leibetseder: Gudrun Perko (in dem Buch "Queer-Theorien. Ethnische, politische und logische Dimensionen plural-queeren Denkens") hat neben der Definition "lesbisch/schwul" noch zwei weitere ausgeführt: "Queer" wird auf Bi- und Transsexuelle erweitert und in der dritten Version werden auch Leute eingeschlossen, die sich nicht nur wegen ihrer Sexualität oder wegen ihrer Transsexualität als queer bezeichnen, sondern das können auch vielleicht Männer sein, die sich einfach mal in Frauenkleidung wohlfühlen oder auf einer Bühne mal als Dragqueen auftreten. Auch Personen die intersexuell sind, also zwischen den Geschlechtern geboren wurden, werden in dieser dritten Version inkludiert. Diese Version geht auch darauf ein, dass es nicht nur männlich und weiblich gibt, sondern, dass plurale Formen von Geschlechtsidentitäten existieren. Von dieser dritten Version von "queer" bin ich ausgegangen.

dieStandard.at: Wie schätzen Sie das politische Potential der von Ihnen beschriebenen Strategien ein, vor allem vor dem Hintergrund, dass jene mit deutlicherer politischer Botschaft eher in der Subkultur vorkommen?

Leibetseder: Generell tauchen Elemente aus der Subkultur immer wieder auch im Mainstream auf. Somit gelangen beispielsweise queere Ästhetiken schon auch in die sogenannte Massenkultur und finden Verbreitung.

dieStandard.at: Wird queere Ästhetik auch als Vermarktungsstrategie verwendet? Letztes Jahr ließ etwa Lady Gaga unter ihrem Mini einen Penis hervorblitzen.

Leibetseder: Ja. Auch bei Peaches kann man beobachten, dass sie das auch zunehmend vermarktet. Bei ihr hab ich das anfangs schon noch als authentisch empfunden, bei den letzten beiden Alben von Peaches machte sich aber schon eine sehr konventionelle Erotik bemerkbar, die mit einer queeren Ermächtigung nicht mehr so viel zu tun hat.

dieStandard.at: Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Queer-Theorie und feministischer Theorie? Einige Denkerinnen der zweiten Frauenbewegung hätten beispielsweise so mancher queerer oder auch feministischer Strategie, die Sie als solche anführen, keine gesellschaftspolitische Relevanz zugeschrieben.

Leibetseder: Mit der zweiten Frauenbewegung gibt es in Bezug auf Queer-Theorie schon Konfliktpunkte. Denkt man zum Beispiel an den Differenzfeminismus, der sich an einer binären Geschlechterordnung orientiert, oder an Gender Mainstreaming, wo beispielsweise Frauenquoten erfüllt werden müssen und auch wieder automatisch die Einteilung in zwei Geschlechter und geschlechtliche Zuschreibungen gemacht werden. Letztendlich sollten wir aber davon wegkommen und daran arbeiten, dass diese Kategorien überflüssig werden. Ich verstehe aber auch, dass sich die zweite Frauenbewegung auf eine Betonung der Unterschiede zwischen Männer und Frauen in Hinblick auf ihre Konsequenzen konzentriert hat. Diese Stufe muss zuerst vorhanden sein, nur so kann man zur nächsten übergehen. Es ist natürlich auch wichtig zu schauen, inwiefern die Forderungen der zweiten Frauenbewegung umgesetzt sind. Wenn über diese noch kein gesellschaftlicher Konsens besteht, ist es natürlich schwierig queere Forderungen durchzusetzen, z.B. das Zweigeschlechtersystem abzuschaffen und durch multiple Geschlechter zu ersetzen, oder gar keine Geschlechterkategorien mehr anzuwenden. 

dieStandard.at: Also sind einerseits die Forderungen zur Gleichstellung von Männer und Frauen noch nicht umgesetzt, andererseits wird aber theoretisch schon an der Abschaffung der Kategorien Mann/Frau gebastelt?

Leibetseder: Ja. Meine Arbeit ist dem Feminismus der dritten Welle zuzuordnen weil sich dieser auch gut mit queer-theoretischen Ansätzen verbinden lässt, bzw. sind letztere auch aus Texten von Theoretikerinnen wie Judith Butler, Judith Halberstam oder Beatriz Preciado entstanden. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 25.1.2010)