Eine Woche vor der Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen (am 2. Februar) hier die Vermutung, dass die Siegerliste bei den Academy Awards (Gala am 7. März) diesmal um einiges anders aussehen wird als bei den Golden Globes vor einer Woche: Nicht wahrscheinlich scheint ein erneuter großer Erfolg für "Avatar", letztlich eng dürfte es für Michael Hanekes in die Neuner-Vorauswahl aufgenommenen Film "Das weiße Band" werden, nur Christoph Waltz' Chancen in der Nebendarsteller-Kategorie wirken wie die von Veteran Jeff Bridges ("Crazy Heart") in der Hauptrollenkategorie nach den jeweiligen Globe-Preisen immer gefestigter.

Preise und Nominierungen der abgelaufenen Woche ergeben gute Indizien. In der Nach zum Sonntag vergab der Screen Actors Guild seine Preise, und die Schauspieler-Gewerkschaft machte wenig Hehl daraus, wie sehr sie es schätzte, dass Quentin Tarantino mit "Inglorius Basterds" seinen Akteuren und Akticen eine große Bühne bot: An den Film gingen Hauptpreis für "das Ensemble", dazu der an Waltz für "Outstanding Performance by a Male Actor in a Supporting Role". Insofern bedeutend, da die SAG-Mitglieder den größten Block innerhalb der Oscar-Jury darstellen (alle Preise unter SAG.org).

21. und 27. Februar

Während der Woche hatte die BAFTA, die British Academy of Film and Television Arts, ihre Nominierungen für verkündet (nachzulesen unter BAFTA.org) - und die BAFTAs sind in den Hauptkategorien weit gefasst, "englischsprachig" schließt das US-Kino ein. Mit je acht Nominierungen - und durchwegs auch in den Hauptkategorien - liegen James Cameron mit "Avatar", Katherine Bigelow mit "The Hurt Locker" und das britische Drama "An Education" Kopf an Kopf. Tarantino ist bei Regie und Drehbuch vertreten, Waltz und Bridges bei den Darstellern und Haneke bei den Fremdsprachigen. Interessant wird die Gala am 21. Februar in London, aufschlussreich.

Kurz danach ließ die französische (mit nationale Produktionen befasste) Académie des César aufhorchen (CesarduCinema.com, Gala am 27. Februar). Nicht so sehr mit der Nominierung für den Cannes-Sieger "Das weiße Band", der in der Étranger-Kategrie gegen eine schön kompilierte, illustre Auswahl antritt, darunter Eastwoods "Gran Torino", Almodóvar, "Slumdog Millionaire", "Avatar" und Gus Van Sants "Harvey Milk".

Das große Statement bei den Nominierungen lag vielmehr bei den nicht weniger als 13 Nennungen für Jacques Audiards (bei der Viennale gelaufenen) Gefängnisstück "Un prophète". Und Audiard könnte mit seiner Methode des aufgefrischten Good Old Storyhandwerks - und, nicht zu vergessen: seinem Fokus auf plastische männliche Hauptrollen - dem stets ein wenig retrospektiven Geist der Oscar-Akademie-Mitglieder gar gut gefallen.

Eine Frage des Timings

Das Verhältnis von Golden Globes und Oscars erschien stets wechselhaft, bisweilen (so im Vorjahr) wie der vielzitierte "Fingerzeig", bisweilen wie eine "Vorab-Kompensation" für spätere Nichtprämierung. Zumal beide Jurys ziemlichem Lobbyismus ausgesetzt sind: Die Mitglieder der für die Globes wählenden Vertreter von Hollywoods Auslandspresse sind auf den Goodwill der Großstudios angewiesen (darin Marketing-lastig, Stichwort: Star-Interviews), der Oscar-Academy muss das (Inhalt-orientiertere) Gesamtimage der Branche mehr am Herzen liegen - und auch hier geht's um die eigenen Jobs.

Aktuell ist großes Thema, wie viel "Avatar" weltweit wirklich einspielen kann, und die Globes halfen da natürlich - aber für Anfang März wirkt (sieht man von den technischen Preisen ab, für die er eine Bank ist)  die Suppe eindeutig zu dünn.

Sein "gutes Anliegen" ist ja erkennbar - die Parabelhaftigkeit für eine US-Würdigung des südamerikanischen Regenwaldes samt seiner Bewohner, auch an der Pocahontas-Sagenstruktur angelehnt wie zuvor (und da: ausdrücklich) Terence Malicks "The New World" -, längerfristig beeindruckend wirkt diese Eh-klar-Message nicht: Nur albern wirkte etwa die kürzlich lancierte Geschichte, Chinas staatliche Kinoverleiher würden darin zu viel inhaltliche Brisanz sehen (die denken viel industriepolitischer). Umgekehrt begegnet "Avatar" einigem an Backlash-Mundpropaganda, sobald er (was mittlerweile massiv der Fall ist) über seine Kernklientel der Fantasy-Fanboys hinausströmt; vor allem Zuseherinnen äußern sich not amused.

Weg aus der Sandkiste

Aus branchenstrategischer Sicht wäre ein Wiederholung des Globe-Votums im März ziemlich ungut, gäbe es der Filmwelt nur noch mehr ein Image als High-Tech-Sandkiste. Kathryn Bigelows Irakkrieg-Nahaufnahme "The Hurt Locker" wie Jason Reitmans Wirtschaftskrisen-Tragikomödie "Up in the Air" stehen also, so gesehen, bestens positioniert. Ein großer Preis für Bigelow (nach dem von Venedig'09) ist ohnedies längst überfällig, Reitmann (32) wäre eine einnehmende Zukunftshoffnung, und ein Strahle-Lächeln von George Clooney selten fehl am Platz bei Oscar-Galas (Oscars.org).

Während (gerade angesichts kommender Rollen im Cartoon- wie Charakterfach) für Christoph Waltz alle Zeichen auf Akzeptanz stehen, könnte "Das weiße Band" Leidtragender einer spezifischen Academy-Eigenheit wären: einem Ressentiment gegen europäische Regisseure, die intellektuell unbequem wie handwerklich perfektionistisch sind - und vor allem: letzteres bei Geringschätzung für Großstudio-Arbeitsmechanismen. Erinnert sei an Matteo Garrones "Gomorra" im Vorjahr, der schon bei der Vorauswahl hinausgekickt wurde: Laiendarsteller, unnachahmlicher Bildstil - und dazu ein Blick auf die Mafia, der so viel kalt abschätziger ausfiel als in den da irgendwie immer gemütlich-sentimentalen US-Mobster-Erzählungen ... (derStandard.at, 24.01.2010)