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Justizministerin Claudia Bandion-Ortner gibt eine neue Rechtsmeinung vor: Gewalt bei Scheidungen spricht "regelmäßig gegen eine allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung".

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Wien - Angesichts der anhaltenden Proteste nach dem Urteil gegen einen gebürtigen Türken, der wegen versuchten Totschlags verurteilt wurde, da er seine scheidungswillige Frau niedergestochen und mit einer Eisenstange verprügelt hatte - macht das Justizministerium nun einen Schwenk. Vor ein paar Tagen noch hatte die Sprecherin vonJustizministerin Claudia Bandion-Ortner betont: "In die unabhängige Justiz einzugreifen wäre ein Skandal."

Jetzt allerdings liegt der Austria Presse Agentur ein Erlass des Justizministeriums vor, der "aus gegebenem Anlass" verfasst und von Christian Manquet, dem Abteilungsleiter für Straflegislative unterzeichnet wurde. Der "gegebene Anlass" : Besagtem gebürtigem Türken war seitens der Staatsanwaltschaft und des Richters eine "allgemein begreifliche Gemütsbewegung" zugesprochen worden, wobei in der Begründung für den Affekt des Angeklagten auch der soziale Druck in Migrantenfamilien herangezogen worden war.

Jetzt heißt es allerdings im Erlass des Justizministeriums: Eine "heftige Gemütsbewegung" , die "allein durch die Ankündigung der Scheidung oder Trennung" ausgelöst wurde, sei "unabhängig von seiner Herkunft für sich genommen nicht allgemein begreiflich" . Vielmehr würden Gewalthandlungen im Zusammenhang mit Scheidungs- oder Trennungsankündigungen "regelmäßig gegen eine allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung sprechen" .

Betont wird weiters: Weder die "Ausländereigenschaft" noch "die Herkunft aus einem bestimmten Land" könnte den Grad der Heftigkeit einer Gemütsbewegung und deren allgemeine Begreiflichkeit begründen. Zur allgemeinen Begreiflichkeit bedürfe es neben den sonstigen Voraussetzungen "immer auch der Verständlichkeit aus österreichischer Sicht" .

"Kein Eingriff"

Dieser Erlass sei kein Eingriff in die österreichische Rechtsprechung, wird im Büro von Ministerin Bandion-Ortner betont. Dies sei vielmehr "ein ganz normaler Vorgang, um Mitarbeiter der Justiz über aktuelle Entwicklungen und Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung zu informieren" . Wenn sich etwa die Rechtslage ändere, diene ein solcher als Hilfsmittel, "um den Mitarbeitern die tägliche Arbeit zu erleichtern" , erläutert Bandion-Ortner-Sprecherin Katharina Swoboda.

Tatsächlich hat dieses Schreiben auch keinerlei Wirkung auf das Urteil gegen jenen gebürtigen Türken, der wegen Totschlags verurteilt worden ist. Denn dieser Spruch ist bereits rechtskräftig - die Staatsanwaltschaft hatte lediglich gegen das Strafmaß Berufung eingelegt, da ihr sechs Jahre Haft für diese Tat als zu gering erschienen. Gegen den Schuldspruch wegen Totschlags ist kein ordentliches Rechtsmittel mehr zulässig.

Aber auch für künftige Verfahren schließt der neue Erlassähnliche Urteile nicht aus - da dieser für unabhängige Gerichte lediglich eine Rechtsmeinung darstellt, auf die sich das Gericht berufen kann - wenn es für das Urteil seine eigene Rechtsmeinung bildet.

Eine weitere derartige Rechtsmeinung ist allerdings auch der "Wiener Kommentar" - ein ergänzendes Standardwerk zum österreichischen Strafgesetzbuch. Und dort heißt es zum Paragrafen 76 (Totschlag): "Bei Ausländern (Gastarbeiter, Migranten) bzw. überhaupt bei Gruppen mit sozial abweichendem Verhalten, wie z. B. Sektenmitgliedern, kommt es bis zu einem gewissen Grad auf die Mentalität aus dem Kultur- und Lebenskreis des Täters an." (Roman David-Freihs/DER STANDARD, Printausgabe 27.01.2010)