Jack Barnett (Zweiter von links) und These New Puritans: Sehr viel moderner und radikaler kann Pop 2010 nicht werden.

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Christian Schachinger geht in die Knie. Ehret die Jugend!

Mit ihrem ersten Album Beat Pyramid von 2008 waren die kurz einmal in Großbritannien gehypten Südengländer These New Puritans so etwas Ähnliches wie das nächste große Ding. Hedi Slimane verpflichtete die Band als Mitternachtsattraktion für Modeschauen in Paris. Der von einem alten Songtitel des alten Punk-Grantscherbens Mark E. Smith und seiner Jahrhundertband The Fall entlehnte Bandname sorgte für Referenzhölle in der internationalen Musikkritik. Postpunk und die Folgen. Und das nach Neuem ohne Folgen süchtige Jungvolk konnte sich kurz über die Gruppe als weitere Frontfiguren der auch schon wieder sehr tot wirkenden Mikroweltrevolution des "Nu Rave" begeistern.

Wer sich zwei, drei Jahre zurückerinnern mag: Nu Rave, das war eine unter anderem von Combos wie Klaxons oder Shitdisco betriebene, herrlich substanzlose Kopistenmusik, die stockkonservative und grundsätzlich lasche britische Gitarrenkratz- und Rockerseligkeit mit der Dringlichkeit der elektronischen Tanzmusik verbinden wollte. Was eigentlich egal war, blähte sich dieses Segel im Wind im Wesentlichen doch bloß in Richtung einprägsamem und gar nicht einmal so leicht wie vermutet herstellbarem Mitsingrefrain unter den Bedingungen des britischen Pubs und Männerfreundschaften. Wobei man den Mitsingfaktor bei These New Puritans tendenziell vernachlässigen musste, weil ein hart gedroschener Vierviertelbeat zwischen die Augen im Zweifel dieselbe Nachhaltigkeit bewirkt wie Lalelu.

Das alles ist jetzt anders geworden. These New Puritans sind nicht nur halbwegs vergessen, out und erwachsen geworden. Wenn das so weitergeht, kommen in drei Jahren wahrscheinlich sogar noch Hemden mit Kragen und Budapester statt Turnschuhen. These New Puritans haben auf ihrem neuen Album Hidden auch einen Fortschritt gewagt, der ihnen kommerziell das Genick brechen könnte.

Die Gitarren werden ab sofort streng nach hinten gemischt. Keyboards und Samples aus der britischen Klassik der Moderne (zwischen dem fröhlich tuckernden Minimalismus eines Michael Nyman und für Totenmessen tauglicher Choralmusik eines Richard Rodney Bennett) kombiniert der musikalische Kopf Jack Barnett mit mannshohen japanischen Taiko-Trommeln und käsigen Synthesizer-Sounds. Diese erinnern an Altvordere wie The Human League aus den frühen 1980er-Jahren in deren Vorstadtdisco-Phase mit dem Klassiker Dare. These New Puritans ziehen diesbezüglich speziell im Song We Want War alle Register.

Rhythmus dominiert in Folge die restlichen Songs. Time Xone, Fire-Power oder 5 verweisen nicht nur auf bahnbrechende Arbeiten von erklärten Vorbildern der Band wie den radikalen post-punkigen Abspeckwahn von John Lydon und Public Image Ltd. und deren Alben Metal Box oder Flowers of Romance. Hier düstert und sinistert auch der alte britische TripHop-Kiffer Tricky mit seinen asthmatischen Brech-Beats (siehe: Pre-Millennium Tension). Hier ballert auch der neue tamilisch-britische Weltstar M.I.A. ihre global erwärmten brasilianischen Baile-Funk- und indischen Bhangra-Beats. Der erwähnte Michael Nyman findet schließlich Eingang mit auf Klarinetten gespielten Ostinatos, die den eiligen Hörer von für die Weltjugend angedachten Radiosendern in eine unverhoffte, milde Verzweiflung treiben dürften. Das hier ist progressive, zu Ende gedachte, überwältigende und größenwahnsinnige Zukunftsmusik. Die Zukunft beginnt jetzt. We Want War. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.1.2010)