Wien - "Ich werde in der Arbeitsgruppe Geschworenengericht eine Diskussion anregen, ob man den Paragrafen76 (Totschlag, Anm.) in der heutigen Gesellschaft überhaupt noch braucht" , kündigt der neue Präsident des Wiener Straflandesgerichtes, Friedrich Forsthuber, am Donnerstag im Standard -Gespräch an.

Denn die Diskussion nach dem umstrittenen Totschlagurteil gegen einen gebürtigen Türken, der auf seine Frau eingestochen und sie mit einer Eisenstange geprügelt hatte, sei nicht neu: Der Paragraf 76 liefere "immer wieder heißen Gesprächsstoff" , erinnert Forsthuber. Vor allem in Geschworenenprozessen sei es immer wieder schwierig, Laienrichtern den höchst komplexen juristischen Begriff einer "allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung" zu vermitteln.

Eine Möglichkeit wäre es aus der Sicht Forsthubers, dass man anstelle des Paragrafen 76 die Möglichkeit schaffe, im Rahmen eines Mordverfahrens einen entsprechenden Milderungsgrund anzuführen. Dies wolle er als Mitglied der Arbeitsgruppe Geschworenengericht zur Diskussion stellen - "aber letztlich ist dies eine politische Entscheidung" , betont Forsthuber.

Zum jüngsten Erlass des Justizministeriums, wonach ein Migrationshintergrund nicht allein als Begründung für eine "allgemein begreifliche Gemütsbewegung" dienen könne, betont der Präsident des Straflandesgerichtes: "Der zuständige Richter hat in seiner Urteilsbegründung keineswegs gesagt, dass die Gemütsbewegung aus einem Migrationshintergrund resultiere."

Entscheidend für den Beschluss, ein Urteil nach Paragraf 76 zu fällen, sei einzig die Faktenlage gewesen - das spätere Opfer habe dem Täter -ihrem Ehemann - nach dem Tod ihrer Mutter immer wieder vorgeworfen, er sei deren Mörder. Denn ihr Mann hatte sie überredet, die schwerkranke Frau nicht mehr zu besuchen. Aus diesem später eskalierten Streit habe das Gericht eine "allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung" abgeleitet - unabhängig von der Herkunft.

Das Urteil selbst ist übrigens noch nicht schriftlich ausgefertigt. Das Justizministerium hatte vor Erstellung des Erlasses auch keinerlei Kontakt mit dem zuständigen Richter aufgenommen, um sich nach dem tatsächlichen Prozessverlauf zu erkundigen.

Katharina Swoboda, Sprecherin von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, betont auf Anfrage des Standard auch, der Erlass habe sich "nicht auf den Urteilsspruch direkt bezogen" , er sei als "Erläuterung" zu verstehen, "wie das Justizministerium die Rechtslage sieht" .

Der Migrationshintergrund des Täters wurde allerdings in der Anklageschrift erwähnt - in einem Zitat aus dem Wiener Kommentar, einem Standardwerk zum Strafgesetzpunkt. Swoboda auf die Frage, ob daher die Anklage in dem umstrittenen Prozess der Anlass für den Erlass gewesen sei: "Anlass war eher die Diskussion, die sich danach entwickelt hatte."(Roman David-Freihsl/DER STANDARD, Printausgabe, 29.01.2010)