Gab es 1933, als nicht nur die Massen, sondern auch ein Gerhart Hauptmann oder Gottfried Benn den Arm hoben, ein "Versagen der Eliten"? Nein, behauptet Wolfgang Martynkewicz, denn "Versagen" beinhaltet die naive Vorstellung, gerade die Kunstkenner und Denker hätten es doch eigentlich besser wissen müssen.

Dagegen erinnert der Bamberger Literaturwissenschafter daran, dass weite Teile der kulturellen und intellektuellen Elite Deutschlands im Grunde gar nichts anderes gewollt hätten als die Nazis: einen von Grund auf erneuerten deutschen Kulturstaat, gereinigt von der neuen, modernen Massenkultur, widersprüchlicher Vielfalt und, natürlich, "jüdischem" Einfluss.

Eine unbequeme, ja provokante These, die Martynkewicz, ein ausgewiesener Kenner der Moderne, in seinem neuen Buch vorträgt. Im Zentrum des 600-seitigen Werkes steht der Münchner Salon des Verlegerehepaars Hugo und Elsa Bruckmann.

In ihrem Palais am Münchner Karolinenplatz trafen sich seit der Jahrhundertwende nicht nur Hochadel und Großbürgertum, sondern auch die Geistesaristokraten. Zu den Gästen gehörten Thomas Mann und Hugo von Hofmannsthal ebenso wie der Weltmann Harry Graf Kessler, der Kulturphilosoph Rudolf Kassner oder der jüdische Theaterregisseur Max Reinhardt. Aber nicht nur Rainer Maria Rilke und Stefan George lasen hier ihre Gedichte, auch der Antisemit Houston Stewart Chamberlain stellte schon 1899 seine Rassentheorien vor. Und nach 1924 gehörten auch Adolf Hitler, Rudolf Heß und Alfred Rosenberg zu den Stammgästen.

"Das ganze Tableau der deutschen Geschichte in all seiner Widersprüchlichkeit" bietet die Geschichte dieses Salons, so Martynkewicz - bis hin zum deutschen Widerstand in Gestalt des Diplomaten Ulrich von Hassel, mit dem Elsa Bruckmann in den frühen Vierzigerjahren befreundet war. Der Salon der kunstsinnigen Dame - eine geborene Prinzessin Cantacuzène, frühe Freundin Hugo von Hofmannsthals und bereits seit 1921 eine Verehrerin Hitlers - war eine Art Laboratorium, in dem die Moderne höchst ambivalent diskutiert wurde: Man begrüßte Jugendstil, Lebensreform und moderne Kunst, sehnte sich aber auch nach einer totalitären Umgestaltung der erstarrten Gesellschaft und einer wahren Herrscherpersönlichkeit.

Die glaubte man in der Weimarer Republik ausgerechnet in Adolf Hitler zu finden, nicht zuletzt, weil er so "authentisch" schien. Elsa Bruckmann vermittelte Hitler nicht nur Kontakte zur Schwerindustrie und half mit Geldspenden beim Neuaufbau der NSDAP nach dem gescheiterten Putsch von 1923.

Für Hitler vergaß die Salonière sogar das Prinzip des Salons, die Offenheit, und ließ ihn seine stundenlangen Monologe halten - eine unglaubliche, allzu deutsche Geschichte also, die hier in einem materialreichen Band glänzend nacherzählt wird. (Oliver Pfohlmann, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.01.2010)