Der Spielplatz bleibt leer, wenn Frauen einen sicheren Arbeitsplatz vorziehen. Wissenschafter kamen zu dem Schluss, dass die Jobsituation den Wunsch nach Kindern am stärksten beeinflusst.

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Die Angst vor Arbeitslosigkeit lässt besonders karriereorientierte Frauen davor zurückschrecken, Kinder zu bekommen.

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Heidi Klum macht es uns allen vor. Job und Familie? "Das läuft alles wirklich ganz easy", verlautet das einstige Supermodel über den Drahtseilakt zwischen Kind und Karriere. Es geht doch - wenn man drei Kindermädchen hat.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Und sie hat zwei Gesichter. Das eine hat dicke Augenränder. Steht früh auf, bringt die Kinder zur Betreuung, hastet zur Arbeit und am Nachmittag zurück, um dann im Idealfall noch ein paar wertvolle Stunden mit Spielen und Hausaufgaben zu verbringen und schließlich den Haushalt zu meistern. Das andere Gesicht hingegen bleibt frisch: Es hat keine Kinder.

Die Zahl der derart Ausgeschlafenen nahm bis Mitte der 90er-Jahre rasant zu. Tatsächlich sanken die Geburtenrate im westlichen Europa bis dahin auf einen Rekordtiefstand von durchschnittlich 1,2 Kinder pro Frau. Zum Vergleich: Etwa 2,1 Kinder wären allein notwendig, um die Bevölkerungszahlen konstant zu halten.

Kein Wunder also, dass sich inzwischen ganze Institute dem Fruchtbarkeitsverhalten moderner Industrienationen widmen. Sie fanden viele Gründe dafür, keine Kinder zu bekommen, und doch hängen sie alle an einer Ursache: der steigenden Erwerbstätigkeit der Frauen - vor allem in höher qualifizierten Jobs. "Denn parallel zu den sinkenden Geburtszahlen stieg die Erwerbsquote unter den Frauen von 55 auf 66 Prozent. Diese Entwicklung ist historisch gesehen einzigartig", erklärt der Arbeitsmarktexperte Roland Verwiebe vom Institut für Soziologie an der Uni Wien.

Die Folgen des sozioökonomischen Wandels sind so banal wie weitreichend. Die Berufstätigkeit und der eigene Verdienst erhöhte die Unabhängigkeit der Frauen. Mit der Unabhängigkeit stiegen die Ansprüche sowie die Chancen auf Karriere - und das kostet Zeit. Vor allem, wenn das gewünschte Ziel noch in weiter Ferne liegt oder von anderen Faktoren wie Arbeitslosigkeit bedroht wird.

Rudolf Winter-Ebmer vom Institut für Volkswirtschaft an der Johannes-Kepler-Universität Linz untersuchte in Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts, welchen Einfluss Kündigungen von Frauen auf die Familienplanungen haben. Dazu verglich er zwei Gruppen von Frauen mit ähnlichem sozialen Hintergrund. Der einzige Unterschied: Die Studienteilnehmerinnen aus Gruppe eins verloren durch eine Firmenpleite plötzlich ihren Job.

"Das Ergebnis war eindeutig", sagt Winter-Ebmer, "im Schnitt ging die Geburtenzahl nach einer Kündigung um fünf bis zehn Prozent, bei besonders erfolgreichen Frauen sogar um bis zu 25 Prozent, zurück." Dies könnte daran liegen, dass gerade karriereorientierte Frauen zuerst den beruflichen Erfolg wieder erlangen möchten. Überrascht hat die Forscher allerdings, dass es sich nicht um eine zeitlich begrenzte kinderlose Phase handelte. "Man könnte meinen, dass Frauen aufgrund des Schocks über den Arbeitsplatzverlust ihren Kinderwunsch aufschieben, doch tatsächlich zeigte sich der Trend zur Kinderlosigkeit sogar noch neun Jahre nach der Kündigung", sagt Winter-Ebmer.

Der Kampf um Kind und Karriere ist unfair: Während Männer sowohl für das eine als auch für das andere ihr "Berufsleben" lang Zeit haben, müssen Frauen bis zur magischen Grenze von etwa 40 Jahren beides erledigen. Wer bis dahin beruflich nicht einen gewissen Status erreicht hat, wird es mit Kindern nur noch in seltenen Fällen schaffen.

Tatsächlich steigt seit etwa drei Jahren die Zahl der Neugeborenen wieder leicht an, wie Joshua Goldstein vom Max-Planck-Institut für demografische Entwicklung in Rostock und Thomás Sobotka vom Wiener Institut für Demografie analysierten. Doch auch sie kommen zu dem Schluss, dass die Jobsituation den Wunsch nach Kindern am stärksten beeinflusst - übrigens auch bei den Männern. Umfragen zufolge will jeder vierte Mann auf seinen Stammhalter verzichten, weil er sich ökonomisch verunsichert fühlt.

Skandinavische Konzepte

Bleibt die Frage, warum hierzulande nicht gelungen ist, was die Niederlande und die skandinavischen Ländern praktizieren: die höchste Beschäftigungsquote und den geringsten Geburtenrückgang. "Da haben gleich zwei Konzepte gegriffen", erklärt der Wiener Sozialwissenschafter Verwiebe. Die Niederländer förderten gezielt Firmen, die Teilzeitstellen anbieten, und die Skandinavier sorgten für eine umfassende Kinderbetreuung, um Job und Familie für Frauen möglich zu machen.

So ist es kaum verwunderlich, dass in den deutschsprachigen Ländern vor allem zwei Gruppen viele Kinder bekommen: Die, die es sich leisten können, weil sie (ihr Berufsziel weitgehend erreicht und) genügend Geld haben, und die, die es sich leisten können, weil sie genügend Zeit haben: Menschen aus sozialen Schichten, die kaum Karrierechancen haben. (Edda Grabar/DER STANDARD, Printausgabe, 03.02.2010)