Großes kleines Kino: Lyle Lovett (li.) und John Hiatt unterhielten sich (und das Publikum) prächtig. Dazwischen wurde musiziert.

Foto: Andy Urban

Wien - Wenn bei einem Konzert im Jahr 2010 die auftretenden Künstler keinen Verkaufsstand mit CDs oder T-Shirts betreiben, dann darf man davon ausgehen, dass das Eigenheim zu Hause schon abbezahlt ist. Entsprechend gelassen saßen am Mittwoch Lyle Lovett und John Hiatt in einem ausverkauften Wiener Wuk.

Die beiden US-amerikanischen Songwriter gönnen sich zurzeit einen Buddy-Urlaub in Europa, dem zwischen dem Sightseeing mit etwas gemeinsamem Musizieren zusätzlich Sinn verliehen wird. Mit drei akustischen Gitarren im Gepäck rückten sie ihre Stühle zusammen, baten darum, das Licht zurückzunehmen, um sich die kahlen Stellen nicht zu verbrennen - und hauten rein. John Hiatt eröffnete mit einem den Abend programmatisch verortenden Drive South, Lyle Lovett zierte sich noch etwas und bog mit LA County zuerst Richtung Westküste ab.

"Across The Borderline"

John Hiatt lebt in Nashville, und seine Songs wurden und werden von dutzenden Künstlern interpretiert und in die Charts gebracht. Von Größen wie Bob Dylan, Emmylou Harris oder Willie Nelson. Auch die berühmte Grenzland-Ballade Across The Borderline hat Hiatt mitgeschrieben. Er veröffentlicht seit 1974 Alben, sein 1987 erschienenes Bring The Family, auf dem neben Nick Lowe auch Ry Cooder gespielt hat, gilt als sein bestes und führte zur Gründung der kurzlebigen Supergroup Little Village mit Cooder, Hiatt, Lowe und dem kongenialen Schlagzeuger Jim Keltner.

Der Texaner Lyle Lovett veröffentlicht seit 1986 Country-Rock-Alben, ist hierzulande aber eher aus dem Kino als aus dem Radio bekannt. Lovett ist ein gefragter Nebenrollen-Darsteller in Hollywood. Der Mann mit dem so langen wie schiefen Gesicht spielte unter anderem in The Opposite Of Sex oder in den Robert-Altman-Filmen Cookie's Fortune und dessen Los-Angeles-Epos Short Cuts. Während der Dreharbeiten zu The Player lernte er Julia Roberts kennen und lieben. Ihr ging's nicht anders, und die beiden heirateten.

Live gab der wieder geschiedene Lovett neben musikalischen Leckerbissen immer wieder auch Vorstellungen seines schauspielerischen Talents. Denn die intime Show lebte zu einem Gutteil von den Geschichten, die die beiden zwischen den Songs erzählten. So vieldeutig nichts sagen wie Lovett muss man erst einmal können!

Die einäugige Fiona

Da saßen sie also und hatten viel Spaß mit sich und dem Publikum. Hiatt, der Expressionist und dominantere der beiden, gab früh sein Memphis In The Meantime. Lovett, abgesehen von seiner anhaltenden Begeisterung für George W. Bush ein grundsympathischer Typ, hielt mit spröden Balladen dagegen - der Impressionist im Team. Man diskutierte Songtitelmissverständnisse und Deutungsunterschiede anhand der einäugigen Fiona, die für Lovett eine Frau mit Augenklappe, für Hiatt ein Zyklop ist. So ging das launige zweieinhalb Stunden.

Mitunter gab es da natürlich Längen, da dieses Erzählkino zum Anfassen aufgrund seiner schlanken Instrumentierung stellenweise Dynamik vermissen ließ. Leider. Mehr Mut zum Duett wäre da dringend gefragt und notwendig gewesen, aber kaum einmal spielten und sangen die beiden gemeinsam. Die meiste Zeit wurde Sing-Song-Ping-Pong gespielt.

Dennoch gab es in diesem Hin und Her Höhepunkte. Etwa das etwas heftiger vorgetragene My Baby Don't Tolerate auf Lovetts Seite, Hiatt schlich sich wiederum mit Have A Little Faith In Me in die Publikumsherzen oder flutete mit der bildstarken Trennungsschmerzballade Crossing Muddy Waters die Äuglein harter Lederjackenträger im Saal.

Ein kleines Beserlschlagzeug hätte die Qualität des Sets wahrscheinlich multipliziert, ein charmanter Abend mit zwei Sympathen war es allemal. (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 5.2.2010)