Wien - Das Schreiben hat Sprengkraft: 97 Forscher - Historiker, Politologen und Sozialwissenschafter - verlangen die Rehabilitierung der Opfer des Engelbert-Dollfuß-Regimes und die Errichtung eines Denkmals in Wien.

Der offene Brief erging am Freitag an die Regierungsmitglieder, den Bundespräsidenten und alle Abgeordneten plus Parlamentspräsidium. "Es geht uns nicht darum, aus sicherer zeitlicher Distanz zur eigenen moralischen Erbauung den Stab über anderen zu brechen" , heißt es darin. Beklagt wird, dass die wissenschaftliche Erkenntnis und das "öffentliche historische Bewusstsein auseinanderklaffen" .

Wie heikel das Thema ist, wissen auch die Forscher: "Von der ÖVP wird es in Teilen großen Widerstand geben" , ist sich der Sozialwissenschafter Emmerich Tálos sicher. Schließlich würde so die "These von der geteilten Schuld der Christlich-Sozialen und der Sozialdemokraten unterlaufen" . Er hofft auf die SPÖ, denn: "Trotz der Schonungsbemühungen in Richtung Koalitionspartner gehe ich davon aus, dass sie das aufgreift." Wenn nicht? "Das hielte ich für den größten Skandal der Sozialdemokratie" , es wäre "unverzeihlich" .

Der Politologe Anton Pelinka fürchtet, dass "die Volkspartei noch eine Generation brauchen wird" . Aber, sagt er auch, er wäre "angenehm überrascht" , wenn sich auch die Volkspartei in dieser Sache bewegen würde. Sein Beweggrund für die Teilnahme an der Aktion ist klar: "Die Opfer des 1934 mit Gewalt errichteten autoritären Regimes wurden noch immer nicht rehabilitiert."

Die Forscher wollen, dass alle "Opfer des Austrofaschismus" bedacht werden, wie einer der Mitorganisatoren, Florian Wenninger vom Zeitgeschichte-Institut an der Uni Wien, erklärt. Es gehe nicht nur um dieVerurteilten der Standgerichte, sondern auch um die tausenden Menschen, die in Anhaltelager eingesperrt wurden, und die vielen, die man nach ihrer Flucht ins Ausland kurzerhand ausgebürgert hat. Eine Einschränkung gibt es: "Uns geht es nicht um die Rehabilitierung von Nationalsozialisten." Eine Einzelfallprüfung sei "sinnvoll" .

Als ersten Schritt verweisen die Autoren des offenen Briefes auf einen Antrag, der dem Justizausschuss vorliegt. Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser fordert darin die Rehabilitierung all jener Personen, die 1934 von den Standgerichten zum Tode verurteilt wurden. Am 17. Februar wird getagt. Der Grüne hofft, dass dann "ohne Scheuklappen an das Thema herangegangen wird" .

Die Forscher schreiben in ihrem Brief: "Die Initialzündung für eine kritische Befassung mit Geschichte bildeten in der Vergangenheit oftmals symbolische Akte. Für einen solchen Akt wäre nunmehr die Gelegenheit gekommen." (Peter Mayr, DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.2.2010)