In "Tuan Yuan"  knüpft das Neue an Altes an; dazu gehört auch die späte Rückeroberung der einstigen Geliebten.

 

 

Foto: Berlinale

Achtung, Rutschgefahr! Auch am Donnerstagabend wurde Berlin immer noch von einem Thema beherrscht: Die Gehwege der Stadt sind zugefroren, sie gleichen blankem Eis, entsprechend pinguinhaft watschelnd bewegen sich die Menschen durchs Gewühl. Möge sich kein Star wie Renée Zellweger am Weg zur Gala im Berlinale-Palast durch einen Knochenbruch um sein Glück bringen!

Bereits vor dem festlichen Beginn regte sich Kritik am notorischen Wachstum der Berlinale, die als größtes Publikumsereignis seiner Art auch dieses Jahr das Programm erweitert hat. Das erhöht nicht gerade die Übersichtlichkeit und trägt zur inhaltlichen Verwässerung bei. Was den Wettbewerb anbelangt, der dieses Jahr einige Unsicherheiten birgt, glaubt zumindest Volker Schlöndorff an die göttliche Entscheidungsgewalt von Jury-Präsident Werner Herzog: "Er wird das Schwert des Erzengels unerbittlich gegen jedes Mittelmaß führen" , notierte er zuversichtlich im "Tagesspiegel".

"Tuan Yuan" ("Apart Together"), der Eröffnungsfilm des Chinesen Wang Quan'an, hebt sich zumindest von der üblichen Praxis ab, auf die sponsorenfreundliche Abstimmung von Stars und Schauwerten zu setzen. Es geht um die Geschichte einer wehmütigen Konfrontation mit einer politischen Vergangenheit, der man nun im Privaten versöhnliche Gesten abgewinnt. Liu Yansheng kämpfte im chinesischen Bürgerkrieg auf der Seite der Nationalisten und musste das Land 1949 fluchtartig gen Taiwan verlassen - zurück in Shanghai blieb auch seine Lebensliebe Qiao Yu'e. 50 Jahre später kehrt er zurück, ein Tourist, der im Stillen ein anderes Ansinnen verfolgt: Er will Yu'e, die inzwischen mehrfache Großmutter ist, zu sich zurückholen.

Wang Quan'an, der als eine Entdeckung von Berlinale-Direktor Dieter Kosslick gilt, bereitet dieses leise Drama in ruhigen, langen Einstellungen auf, die immer wieder auf den reich gedeckten Familientisch ausgerichtet sind. Dies ist der privilegierte Ort, um unterschiedliche Begehrlichkeiten auszuhandeln, Vergangenes und Zukünftiges zu klären, was für weniger Misstöne sorgt, als man zunächst vermuten würde. Lange hat es den Anschein, als würde Lu Shenmin, Yu's richtiger Mann, sie einfach ziehen lassen.

Als räumliche Entsprechung dieser Erwägung eines Neubeginns sind in "Tuan Yuan" immer wieder Ansichten Chinas zu sehen, die das Nebeneinander von Altem und Neuem nachdrücklich betonen. Eine erste Aussprache zwischen dem alten Paar erfolgt auf einem Baugerüst eines hypermodernen Appartementkomplexes. So kommt man nicht umhin, diesen ein wenig zu braven, zu wohlig austarierten Film auch als Verneigung vor der Großelterngeneration zu sehen, die mit ihrem entbehrungsreichen Dasein dem modernen China den Weg bereitet hat. Auf besonders rutschigem Parkett bewegt man sich mit dieser Arbeit nicht. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.2.2010)