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Autor Martin Walser: nun also zurück mit einem schmalen Buch, das die großen Fragen des Lebens aufwirft.

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Wien - Der deutsche Schriftsteller Martin Walser ist ein Unbeugsamer. Er sei auf bestem Weg, als Literat eine Art Dieter Bohlen für Gebildete zu werden, reihe Geschmacklosigkeiten aneinander und konfrontiere seine Leser mit sabbernder Greisenerotik, hieß es nach seinen letzten beiden Romanen Angstblüte (2006) und Ein liebender Mann (2008).

Doch jetzt tut Martin Walser (Jahrgang 1927), was er schon damals - nach seiner umstrittenen Paulus-Kirchen-Rede (1998), in der er die "Instrumentalisierung des Holocaust" durch die "Guten" ("das waren noch Zeiten, als die Heuchler rechts waren") postulierte, um es sich anschließend mit dem Roman Tod eines Kritikers (2002) endgültig mit der gesamten "Kultur-Fraktion" zu verderben - gemacht hat: er legt nun ein Buch vor, mit dem er es wieder einmal allen zeigt.

War es im Jahr 2003 der brillante Band Meßmers Reisen, eine Sammlung von Aphorismen, Gedankensplittern und Kurzprosa, mit der er sich als ernstzunehmender Autor zurückmeldete, ist es nun die Novelle Mein Jenseits. Entstanden ist sie, als sich eine Partie seines neuen Romans Muttersohn, der im Herbst erscheinen wird, wie Walser in einem Interview sagt, regelrecht "verselbständigt" habe.

Allerdings erscheint der dünne Band nicht bei Walsers Hausverlag Rowohlt, sondern im Kleinverlag Berlin University Press, dessen Leiter, Gottfried Honnefelder, Martin Walser einst zu gemeinsamen Suhrkamp-Zeiten versprochen hatte, er werde einmal ein Buch mit ihm machen - falls er einmal einen Verlag habe. Was nun der Fall ist.

Erzählt wird die Novelle in Ich-Form von Dr. Dr. August Feinlein, der in der Nähe des Bodensees ein psychiatrisches Krankenhaus leitet, im Alter von 63 Jahren mit dem Zählen der Lebensjahre aufhörte und seit längerem ins Grübeln gekommen ist. Dreißig Jahre ist es her, dass seine Verlobte Eva Maria statt ihm doch den villenbewohnenden Grafen von Wigolfing geheiratet hat.

Die ewige Liebe

Nachdem der Aristokrat an der Eigernordwand abstürzt, kommt es noch schlimmer, denn die immer noch Angebetete heiratet mit dem fast zwanzig Jahren jüngeren Dr. Bruderhofer just jenen Mann, der Feinlein seinen Job - man könnte es Mobbing nennen - streitig zu machen versucht. Vor ihren beiden Hochzeiten schickt Eva Feinlein jeweils eine Karte: "Ich werde dich immer lieben. Bis bald" steht auf der ersten, "IN LIEBE" lautet die zweite.

So die Grundkonstellation, von der aus Walser mit leichter Hand und stilistisch beeindruckend die Frage aufwirft, ob man glauben soll, was man sieht - oder das, was man fühlt. Um das Mysterium des Unsichtbaren geht es auch im zweiten Strang des Buches, denn Feinlein fängt an, sich mit christlichen Reliquien auseinanderzusetzen. Dafür ist er auch familiär prädestiniert - ein ferner Vorfahre war nämlich Klosterabt und schrieb, es sei nicht wichtig, dass die verehrten Reliquien echt seien. Allein der Glaube verleihe ihnen Kraft.

Im freien Fall

"Glauben, was nicht ist. Dass es sei", heißt es bei Martin Walser. Wie viele Figuren dieses Autors ist auch Feinlein sehr deutlich ein Ausgesetzter, ein Zweifelnder, der im Leben nicht richtig Tritt fasst und sich am Ende im freien Fall befindet. Mein Jenseits (Euro 20,50, 119 Seiten) ist eine Passionsgeschichte im doppelten Sinn des Wortes. Schlussendlich ist es die Frage nach dem warum, die Walsers Helden zusammenbrechen lässt.

Doch es gibt in diesem schmalen Buch, das die großen Fragen des Lebens, der Liebe aufwirft, kein Warum: "Die Erlösungsvorstellungen aller Märchen, aller Religionen bebildern die Unerklärlichkeit. Sich kaputtphantasieren. Das ist das Ziel. Glauben lernt man nur, wenn einem nichts anderes übrig bleibt. Aber dann schon." (Stefan Gmünder, DER STANDARD/Printausgabe, 15.02.2010)