Wien - Sie sind die Gladiatoren der Musikpaläste: Pianisten, die dem Wunderkinddasein entwachsen sind, aber noch nicht ein gesetzteres Alter erreicht haben. Unerschöpflich erscheinen die technischen Möglichkeiten der virtuosesten Virtuosen, und ihr kollektives Bestaunen ist nicht nur akzeptierter Teil, sondern mitunter ersehnter Zweck des Spiels.

Welche Codes der Virilität da beim begleitenden Marketing mehr oder weniger unterschwellig bedient werden, warum sich etwa Pianistinnen nicht in derselben Weise positionieren lassen, wäre eigens zu fragen. Dass diese Inszenierungen mit ihren zweifellos atemberaubenden Seiten so bereitwillig bejubelt werden, sollte allerdings dazu Anlass geben, dem Gebotenen selbst umso genauer auf den Puls zu fühlen.

Die Frage nach dem Sinn des Ganzen wäre also, wenn man nicht sein Heil in einer vagen "Popularisierung" der Klassik sucht, mit der Frage nach dem musikalischen Sinn zu verbinden. Der ist nämlich, wie soeben zwei durchreisende Klavierspieler demonstrierten, hie und da gefährdet, dort bereits geopfert.

Es wäre sicherlich ungerecht, Alexei Volodin einen Blender zu nennen. Aber trotz seiner beträchtlichen manuellen Fertigkeiten gelang es dem 1977 geborenen St. Petersburger im Konzerthaus nicht, das gewählte Chopin-Programm hinreichend zu beleben.

Viel Effekt, wenig Wirkung

Volodin setzte zwar seine achtenswerte Technik auch dazu ein, Ecken und Kanten herauszumeißeln. Wozu er das tat, wurde allerdings weder bei den Préludes noch bei der h-Moll-Sonate so recht klar. Denn er investierte zwar viel Kraft und Effekt, versuchte sich mit kleinen rhythmischen Freiheiten in der Phrasierung, ohne aber die Linien auch im Klang abzurunden oder den Sinn subjektiver Entscheidungen in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

So zerrannen ihm viele intelligente Details buchstäblich unter den Händen, wenn er sie nicht gleich im inflationär gebrauchten Pedal ertränkte. Die sinnhafte Wirkung all seiner Akzentuierungen blieb da mehr als beschränkt.

In mehrfacher Hinsicht spielt Lang Lang in einer anderen Liga. Der Chinese ist dem fünf Jahre älteren Volodin nicht nur an Hysterisierungspotenzial voraus, sondern auch hinsichtlich seiner Beliebigkeit. Unangefochten steht er an der Spitze jener Musiker, die mit interpretatorischen Mutwilligkeiten die Hallen füllen.

Im Musikverein demonstrierte Lang mit Beethoven, wie man die einfachsten Regeln sinnvoller Phrasierung ignoriert. Freilich ließ sich bei der C-Dur-Sonate op. 2/3 genügend Blendwerk ausbreiten, um dies zu kaschieren. Die Appassionata klang allerdings wie eine kunterbunte und dadurch farblose Anhäufung von Passagen.

Denn Lang verfügt zwar über eine erstaunliche Palette von vor allem pastellenen Farbtönen. Diese verkommen bei ihm freilich zum reinen Selbstzweck, wie bei geschmäcklerisch gespielten Auszügen aus Albéniz' Iberia zu hören war - oder auch an den ruhigen Stellen von Prokofjews 7. Sonate.

Wo sich Lang nicht kraftmeierisch an pausenloser Motorik festhalten konnte, sondern weite Bögen zu gestalten gewesen wären, gelang es ihm keine Sekunde, die Spannung aufrechtzuerhalten. So ging der Pianist mit zwei Errungenschaften aus der Arena, die beide vollkommen waren:der Jubel ebenso wie die künstlerische Bedeutungslosigkeit. (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe, 02.03.2010)